Hübscher Schachzug

■ Der Kanzler hat nur scheinbar nachgegeben

In der Umgebung von Helmut Kohl dürfte viel gekichert werden, seit der Bundeskanzler sich nun doch zu einem neuerlichen Gespräch mit dem SPD- Vorsitzenden Oskar Lafontaine über die Steuerreform bereit erklärt hat. Es ist aber auch ein wirklich hübscher Schachzug. Ausgerechnet in diesen Tagen, in denen die SPD-Führung vollauf mit der Begrenzung der heftig entbrannten Kandidatendiskussion beschäftigt ist, setzt Kohl die Sozialdemokraten auf einem anderen Feld unter zusätzlichen Druck.

Scheinbar hat der Kanzler nachgegeben – und damit doch nur enthüllt, wie lächerlich niedrig das Hindernis gewesen ist, das der SPD-Vorsitzende vor eine Fortsetzung der Steuergespräche gebaut hatte. Wenn es für weitere Verhandlungen denn wirklich nur einer persönlichen Begegnung Kohls mit Lafontaine bedarf, na schön, was soll's? Der Regierungschef vergibt sich mit diesem Treffen nichts. Bei seinen Anhängern dürfte ihm das kaum schaden, dafür ist es nicht wichtig genug. Was soll bei dem Gespräch unter Führung des Kanzlers denn inhaltlich anderes herauskommen als das, was die Expertenrunde auch hätte erarbeiten können?

Oskar Lafontaine hat sich das Dilemma, vor dem seine Partei nun steht, selber zuzuschreiben. Einigen sich die Sozialdemokraten mit der Koalition auf die Steuerreform, dann werden sie für negative Folgen mitverantwortlich gemacht. Mögliche Erfolge schreibt sich die Regierung allein auf die Fahnen. Kommt eine Einigung nicht zustande, dann wird es die SPD nach den taktischen Spielchen der letzten Wochen schwer haben, das inhaltlich zu begründen. Den Vorwurf der Blockade um der Blockade willen hat sie selbst genährt. Es ist für sie schwerer geworden, sich beim wichtigsten innenpolitischen Thema noch zu profilieren.

Lafontaine wäre besser beraten gewesen, im Zusammenhang mit der Steuerreform auf protokollarische Finessen zu verzichten. Sein Drängen auf eine Begegnung mit dem Kanzler wirkt nun im nachhinein kleinkariert, nicht etwa strategisch klug. Helmut Kohl hat für sein Entgegenkommen einen günstigen Zeitpunkt gewählt und gezeigt, daß er allemal noch weiß, wie um die Macht gepokert wird. Ungeachtet aller Meinungsumfragen wird sich die Opposition beim Wahlkampf warm anziehen müssen. 77 Wochen lang. Bettina Gaus