Wider die Abrißkugel

■ Hans Henny Jahnns Geburtshaus ist vom Abriß bedroht. Es soll einer modernen Wohnanlage Platz machen

Högenstraße 65, Stellingen-Langenfelde, ein unscheinbares zweigeschossiges Gebäude, die Mauern mit Eternitplatten vernagelt, einige Wohnungen stehen leer. Es handelt sich um eines der unzähligen Häuser, die von ihren Besitzern so lange heruntergewirtschaftet werden, bis sie abrißreif sind und Platz geschaffen werden kann für eine moderne Wohnanlage. Niemand würde vermuten, daß sich unter der häßlichen Verschalung eine recht gut erhaltene Villa verbirgt, die zu den ältesten Gebäuden der Umgebung gehört. Und bis vor kurzem wußten die wenigsten, daß hier 1894 einer der bedeutendsten Hamburger Künstler unseres Jahrhunderts geboren wurde.

Hier wuchs Hans Henny Jahnn auf. Von hier aus emigierte er 1915 nach Norwegen, um sich vor dem Krieg zu schützen, und hier hatte er auch noch nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1919 seinen offiziellen Wohnsitz. Dann wurde er berühmt. 1920 verlieh ihm Oskar Loerke den renommierten Kleistpreis für das Skandaldrama Pastor Ephraim Magnus. Im selben Jahr gründete Jahnn in der Lüneburger Heide die heidnische Glaubens- und Künstlergemeinde „Urgino“. Es folgte die Revonierung der Hamburger Arp-Schnitger-Orgel zu St. Jacobi, die Jahnns Ruf als Orgelexperte begründete. Heute gilt die Orgel als eines der wichtigsten Kulturdenkmäler unserer Stadt. Damals wäre sie abgerissen worden, hätte sich Jahnn nicht dafür eingesetzt, das Werk zu erhalten.

Nun steht die Einebnung von Jahnns Geburtshaus in der Högenstraße unmittelbar bevor. Die Kulturbehörde sieht keine Möglichkeit, es zu erhalten.

Doch es bewegt sich etwas. Einige Literaturwissenschaftler haben zusammen mit den Bewohnern des Hauses eine Initiative zur Rettung des Jahnn-Hauses ins Lebens gerufen, die auf ein breites öffentliches Interesse gestoßen ist. Der Museumsverein von Stellingen-Langenfelde hat beschlossen, den Abriß mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern.

Mit seinen großen Romanen Perrudja (1929) und Fluß ohne Ufer (1949-61) wird Jahnn heute zu den wichtigsten Romanciers unseres Jahrhunderts gezählt. Galt er vor wenigen Jahren noch als Geheimtip, zweifelt heute kaum noch jemand ernsthaft an der Bedeutung seines allzuoft mißverstandenen Werkes. Sollte das Haus tatsächlich Grundstücksspekulationen zum Opfer fallen, kann davon ausgegangen werden, daß zukünftige Generationen sich fragen, wie das in einer wohlhabenden Metropole möglich sein konnte.

Es gibt nicht sehr viel herausragende Hamburger Schriftsteller in unserem Jahrhundert: Wolfgang Borchert und Hans Erich Nossack könnten vielleicht dazugezählt werden, Arno Schmidt mit Sicherheit, und zweifelsohne auch Hans Henny Jahnn. Noch ist es nicht zu spät, sein Geburtshaus zu retten.

Jan Bürger