Zyanid im Senf - Lidl-Discount dicht

■ Auch Bremer Supermarkt von Lidl-Erpresser betroffen / Filiale nach Gift durchsucht

„Dieses Geschäft bleibt vorübergehend geschlossen. Bitten wenden sie sich an die Service-Nummer der Polizei 362 16200.“Dieses handgeschriebene Plakat im Schaufenster des Lidl-Supermarkts an der Graubündener Straße empfängt seit gestern Mittag die Osterholzer AnwohnerInnen. Im Laden ist es dunkel. Die letzten KundInnen waren von der Polizei. Zweimal haben sie den Laden durchsucht. Immer auf der Suche nach vergifteten Lebensmitteln. Spätestens seit in einem Saarbrücker Supermarkt in einer Senftube das hochgiftige Cyanid gefunden wurde, wurde die Sache auch in Bremen brenzlig. Zumal die Lidl-Filiale mit auf der Liste der Supermärkte stand, in denen die Erpresser des Lebensmittelkonzerns Nestle Giftanschläge androhten (vgl. S. 2).

Eine Anwohnerin redet Klartext. „Da kauf ich erst einmal nicht mehr ein. Das ist mir zu gefährlich“, so die Meinung von Liesel Hember. Die Rentnerin nimmt jetzt lieber „den weiteren Weg“zum nächsten Supermarkt in Kauf. „Ich will mich doch nicht umbringen.“Turan Özbek ist die Sache ziemlich schnuppe. Er hat direkt neben dem Supermarkt ein Obst- und Gemüse-Geschäft. „Am Montag hab ich noch profitiert von der Schließung bei Lidl. Als noch keiner Bescheid wußte. Aber dann ging's auch bei mir recht schleppend weiter, seit kaum einer mehr kommt.“Am meisten hätten die Kameraleute gekauft und gegessen, erzählt er. Und der ältere Mann, der schon den ganzen Tag in der Lidl-Einfahrt stünde und den anderen mitteilt, was los ist. Das mit dem Gift und so.

Trotz der Schreckensnachricht zieht der Laden immer noch jede Menge AnwohnerInnen in seinen Bann. „Ist doch toll, daß hier endl

ich mal was passiert“, freut sich der 14jährige Jonathan Marek. Was er meint sind die fünf Kamerateams vor dem Lidl-Markt. „Ich hab bestimmt schon zehn Interviews gegeben“, verkündet er stolz.

Auch die Erwachsenen, die anfangs recht wütend auf den Erpresser waren, nehmen die Sache spätestens seit der großen Warenrückgabe auf die leichte Schulter. „Hier ist schon fast Party“, verkündet Jürgen Kok von der Kriminalpolizei. Er und seine KollegInnen nehmen im Polizeirevier an der Osterholzer Straße alle Waren, die in dem Lidl-Markt zwischen dem 1. und 7. April gekauft worden sind entgegen. „Zuerst lief die Aktion schleppend an. Nach Feierabend, so gegen 17 Uhr, ging's dann so richtig los. Die Leute stehen in Schlangen vor der Tür. Ist richtig lustig hier. Kein Wunder, die Menschen haben ja auch ein gemeinsames Thema.“Heute geht die Rücknahme-Aktion ab acht Uhr weiter.

Bis gestern abend lieferten mehrere hundert KundInnen ihre Waren ab, so Kok. Die werden von der Polizei in einem eigenen Lkw gesammelt und später abtransportiert. „Ob die Waren alle nochmal auf Gift untersucht werden, steht noch nicht fest“, sagt Kok. Die Lidl-Geschäftsführung will zudem sämtliche Waren in ihrer Filiale austauschen. Zusätzlich sollen die KundInnen entschädigt werden. Dazu erhalten alle, die Waren bei der Polizei abgeben, eine Quittung. Damit können dann die Schadensersatzansprüche gestellt werden.

Wann die Lidl-Filiale wieder aufmacht steht noch nicht fest. Zuerst muß wieder frische Ware herangekarrt werden. „Ich werd dann wieder da hingehen“, sagt Gerd Kruß. „Ich laß mich doch nicht von solchen Meldungen verrückt machen.“Sagt's, macht auf dem Absatz kehrt und verschwindet in der Eckkneipe. Jens Tittmann