Überfrauen in der Überstadt

■ Die Wiederentdeckung des Spektakels: Eine Reihe mit acht frühen Filmen von Federico Fellini im Lichtblick-Kino

Das Plakat zu Fellinis „Roma“ von 1971 zeigt Bekanntes im neuen Kleid. Die römische Urmutter, dem Mythos zufolge eine Wölfin, präsentiert er als knieende junge Dame im Profil, der drei Brüste wie Teetassen vor dem Bauch hängen. Unter der Fotomontage dann der Filmtitel in antikisierenden Lettern. In dieser binären Bildlichkeit zeigt sich der ganze Film: neue Bilder auf ollem Sockel.

Fellini porträtiert Rom als Überstadt voller Überfrauen in Form eines monomanen Panoramaspektakels. Beginnend mit Kindheitserinnerungen – sein erster Fingerzeig auf die Stadt der Städte sei ein Kilometerstein am Rande seiner Heimatstadt Rimini gewesen –, bleibt das Ganze stets eine Abbildung seiner persönlichen Vorlieben.

Wobei wir lernen, wie sich Römer und Römerin in der Öffentlichkeit benimmt. Gestern (irgendwann in den Dreißigern unter Mussolini) und heute (irgendwann in der Siebzigern), wo die Hippies auf den Plätzen lagern und Gore Vidal (as himself) Chianti im Freien trinkt.

Wie sich im Familienkino an alten Toga- und Sandalenspektakeln delektiert wird, gehört ebenso zur Traditionspflege wie das öffentliche Gelage. Draußen auf übervoller Piazza und inmitten üppiger Portionen wird Sprichwörtliches inszeniert: „Wer alleine ißt, den holt der Teufel.“

Apropos: Auch die vatikanische Tradition kommt nicht zu kurz. Als hintersinnige Modenschau in einer gruftartigen Villa veranstaltet man ein Defilee der schaurigen Scharaden. Kardinäle tragen Rollschuhe, Nonnen Hauben mit Ventilator „für Räume mit schlechter Belüftung“. Und schließlich ein Finale mit einem Haufen bleicher Knochen, hinter dem der Heilige Vater als billige Neonsonne aufgeht.

Heiliges wird geschleift und als Talmimesse der Untoten ironisiert. Die Örtlichkeiten der Edel- und Schmuddelprostitution dagegen werden als beinah sakrales Gewerbe ins Bild gesetzt. Eine geschäftige Börse, bei der feige Männlein vor imposanter weiblicher Körperlichkeit weichen. Die alten Fresken verblassen, und beinahe löst sich auch der Film in pittoreske Bildteppiche auf. Als Zugeständnis an die Erzähltradition gibt Fellini „als achtzehnjähriger“ Neurömer (Peter Gonzales) die Erinnerungsperspektive vor und darf das laszive Geschehen Revue passieren lassen.

Die letzte Szene aber gehört Anna Magnani (die sich wie Marcello Mastroianni selbst spielt), bevor sie dem Regisseur die Tür vor der Nase zuknallt. Als Understatement-Kritik in eigener Sache läßt die mit „Rom – offene Stadt“ zum Synonym gewordene Schauspielerin alle Zuschreibungen und windigen Komplimente abblitzen. Trotz aller Offenherzigkeit also doch eine spröde Dame, diese Stadt.

Ein Prädikat, das laut Mastroianni auf den Regisseur selbst zugetroffen haben muß. Als der noch unbekannte Marcello bei seinem späteren Alter ego am römischen Strand vorsprach und vorwitzig das Drehbuch verlangte, geschah folgendes: „Er ist mit einer Art Dossier wiedergekommen. Drin war eine Zeichnung. Das Meer, ein enormes männliches Geschlecht, das bis auf den Grund reichte. Von Seesternen, Seepferdchen, Sirenen umgeben. Ich bin ganz rot geworden, wechselte von einer Farbe zur andern. Er hat sich über mich lustig gemacht, er war grausam.“

Zu den „Lieblingsfiguren des berühmten Regisseurs zählen Tingeltangelkünstler, Straßensänger, redselige Damen und Tagediebe“, bemerkte der mittlerweile reichlich vergilbte Pressetext der United Artists damals beflissen. Was 1959, mit „La dolce vita“, dem zweiten von acht frühen Fellini- Filmen, die das Lichtblick-Kino ab heute zeigt, noch einen veritablen Skandal unter den Doppelmoralisten hervorgerufen hatte, brachte dem Mann aus Rimini gut zwanzig Jahre später einen triumphalen Publikumserfolg bei den internationalen Filmfestspielen in Cannes. Gudrun Holz

Fellini-Reihe ab heute im Lichtblick-Kino, Wolliner Str. 19, Mitte