Wenn Helden zuviel denken

■ Wie die Arbeit eines begabten Lynch- Kopisten: Mit Lost Highway versucht David Lynch seine Ruf zu betonieren

Ein Jazzmusiker entleibt seine Frau und wird darüber wahnsinnig. Ermordet aber hat er sie, weil er seit langem wahnsinnig ist. Um derart unlogische Zeitflüsse geht es im neuen Film von David Lynch. Außerdem um Seelenwanderung, den Teufel, getunte Mercedeslimousinen und brennende Pfahlhütten. Gezeichnet mit dem Mal, der bedeutendste aller postmodernen Regisseure zu sein, hat Lynch in Lost Highway mit aller Macht versucht, seinem Ruf gerecht zu werden. Und dabei vergessen, daß die Kunst dort endet, wo ihre Klischees beginnen.

Nichts leichter, als kryptisch zu werden über diesen Film, wichtigtuerisch und geschwätzig. Wer es gerne paradox hat und polyvalent, der ist in Lost Highway in der Tat tadellos aufgehoben. „Der Verstand“, sagt Lynch, „schaltet sich aus, wenn der Horror des Lebens und der Horror der eigenen Handlungen unerträglich werden.“Aber er meint nicht seinen, sondern den Verstand des, äh, Helden.

Fünf Jahre nach seiner katastrophalen Twin-Peaks-Spielfilmversion kehrt David Lynch mit einem Stück auf die große Leinwand zurück, das anmutet wie die Arbeit eines erstklassigen Lynch-Kopisten. Mit skrupulösem Kalkül sind die Szenen auf die dunkle Atmosphäre von Blue Velvet geeicht, und die stupende Bewegungsarmut im Gesicht von Bill Pullman (als schizophrener Mörder Fred Madison) kann sich allemal mit der eisernen Maske von Kyle MacLachlan als Special Agent Cooper aus Twin Peaks messen.

Der Druck, der nach dem Twin-Peaks- Kinodebakel auf Lynch gelastet hat, muß monströs gewesen sein. Denn er macht Fehler, die der Meister von Wild At Heart sich nie erlaubt hätte. So beeindruckend es – im ersten Drittel des Films – auch wirkt, wie Lynch die Geschichte eines schizophrenen Mörders gleichsam aus dessen Hirn heraus inszeniert, so blaß gerät diese Geschichte im größeren Rest.

Durch die Figur des „Mystery Man“(die ebensowohl Mephisto heißen könnte) dringt in das schräge Universum von Lost Highway ein ordnendes Element. Als hätte er Angst gehabt, man könne ihn wieder mißverstehen, liefert Lynch seinen Zuschauern die denkbar naivste Erklärung für die Phantasie seiner Bilder: eine phantastische. Der magische „Mystery Man“, nicht mehr der Wahnsinn des Jazzmusikers, steht plötzlich ein für die Brüche der Erzählung – und Lost Highway verwandelt sich darüber in einen gewöhnlichen Horrorstreifen.

Wäre dies der Film irgendeines Kino-Konfektionärs, dürfte man getrost von einer passablen Leistung sprechen. Als Stück von David Lynch ist Lost Highway eine Enttäuschung. Leider.

Kay Sokolowsky Abaton, Neues Cinema, Studio, Ufa, Zeise