Frühstück bei Satyricons

■ Kleines Innenstadttheater spielt Dürrenmatts „Der Gerettete“– um sechs Uhr zwanzig morgens zu Brathähnchen und Croissants!

Die Bremer Innenstadt im Dämmerlicht. Erste Pendler fahren durch leere Straßen. Verschlafene Gesichter an der Straßenbahnhaltestelle. Es ist Morgen. Sechs Uhr zehn. Noch zehn Minuten bis zum Termin. Ein Bühnentermin. Ein Theaterbesuch!

Einige PassantInnen steuern direkt auf das Theater Satyricon in der Hankenstraße hinter dem Sparkassenparkhaus zu. Da eine dunkelblonde Frau – taufrisch sieht sie aus, und eine Perlenkette hat sie umgelegt. Und dort drei Männer im blauen Anzug. Bis zum Beginn der Vorführung finden sich zwanzig ZuschauerInnen im Foyer der kleinen Bühne ein. Der Kaffee dampft, die Croissants duften, und dann steht mit Dürrenmatts Einakter „Der Gerettete“Bremens erstes Frühstückstheater auf dem Programm.

Theater für Menschen, die abends schon zu müde sind – diese Idee wollten die Satyricons in Kooperation mit dem Kleinen Ensemble Bremen einfach mal verwirklichen. Und so setzten sie Dürrenmatts 1946 entstandene Parabel auf den Spielplan. Auf höchstpersönliche Anregung des Dichters hatte der inzwischen bei Satyricon gelandete Regisseur Dirk Rademacher den „Geretteten“vor sieben Jahren in Zürich ebenfalls als Früh-Stück uraufgeführt. Dürrenmatt konnte leider nicht dabei sein – er starb wenige Wochen vor der Premiere.

„Der Gerettete“greift das Schalten und Walten eines gewissen Herrn Rotermund auf, der per Amtsentscheid jüdische ExilantInnen manchmal in die Schweiz aufnahm und meistens abwies. Mithin eine Erzählung von Macht und Ohnmacht, und das bedrückend intensiv. Auf der Bühne erstens Dr. Martin Blauhals (Dirk Rademacher) als Vorsitzender des „Amtes für Schiffbrüchige“. Auf der Bühne zweitens der Schriftsteller (Pablo Keller). Armin Schlucker heißt er bedeutungsschwer und wurde von Blauhals Seekreuzern aus dem Meer gefischt.

Sehr treffend ist Dr. Blauhals gezeichnet, wenn er sein kaltes Brathähnchen frißt, den schiffbrüchigen Schlucker aber mit der Preisliste für Seerettungen abspeist. Rademacher alias Blauhals wischt sich mit der Serviette das Maul ab. Und dann bellen sie einander an, doch kein Flehen nützt, denn Blauhals behält immer das letzte Wort. Das Ganze ein dicker Brocken, und das morgens zwischen sechs Uhr zwanzig und sieben.

Das frühe Aufstehen falle ihm nicht schwer, erzählt Dirk Rademacher hinterher – schon 200 Vorstellungen hat er hinter sich, zuerst in Zürich und dann in Freiburg. Nur an eines hat er sich nicht gewöhnt: „Das kalte halbe Hähnchen, das kostet jedesmal Überwindung.“

Und das Publikum? „Ich liebe Theater über alles“, sagt die junge Frau mit der Perlenkette. Sie stellt sich als Stundentin mit latenter Theatersucht vor und würde zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Stück ansehen. Und die Männer in den blauen Anzügen? Sparkassenangestellte, wie sich herausstellt. „Wir gehen um halb acht zur Arbeit“, erklärt einer von ihnen. Und obwohl er einmal kurz gegähnt hat, will er den frühen Theatergang im Kollegium weiterempfehlen.

Katrin Patzak/ck

Weitere Vorstellungen heute, 10. April, und 15. bis 17. April, jeweils um 6.20 Uhr; Eintritt zehn Mark, Kaffee und Croissants sind im Preis inbegriffen.