Familienkrach bei Draculas

■ Beim Fantastival im Kino 46 ist alles möglich: Der Kunst-Horror-Film „Nadja“erschafft das ödipale Dreieck neu

Draculas Tochter Nadja huscht in Schwarzweiß durch das New York der 90er Jahre und hat eine Familientherapie nötiger als frisches Blut. Denn sie leidet mehr unter ihrem Vaterkomplex und ihrem rebellischen Zwillingsbruder (der sich schlicht weigert, die Familientradition weiterzuführen) als unter dem Sonnenlicht oder dem Vampirjäger Van Helsing, der sie mit dem unvermeidlichen Holzpfahl auf einem klapprigen Fahrrad verfolgt. Und auch dieser hat ein hochneurotisches Verhältnis zu seinem Sohn, der wiederum seine Ehefrau zu oft alleine in ihrer Wohnung läßt. Deshalb treibt diese sich nachts in Bars herum, wo sie sich ausgerechnet bei Nadja ihren Weltschmerz von der Seele redet und auch prompt von ihr gebissen wird. Aber immerhin ist ihr Schwiegervater ja Spezialist für Untote.

Der Kollege von der Schweizer Filmzeitschrift „Zoom“hat diese hochkomplizierten Familienverhältnisse in seiner Kritik des Films ganz ernsthaft mit einem Diagramm dargestellt, um deutlich zu machen, um was es nach seiner Meinung in diesem Film eigentlich geht: „um nichts weniger nämlich als eine originelle Neukonzeption des ödipalen Dreiecks.“Keine Angst, ganz so schlimm ist es dann doch nicht, aber für die Fans von blutigen Beißereien und gruseligen Spezialeffekten muß dieser Film wirklich ein Horror sein. Michael Almereyda hat ihn radikal gegen die Konventionen des Genres gedreht: in kunstvollem Schwarzweiß und (immer dann, wenn ein Vampir seine Zähne zeigt) in merkwürdig diffusen Bildern, die mit einer Spielzeugkamera mit extrem geringer Auflösung gedreht wurden, in der sogenannten Pixelvision.

Manchmal enervierend langsam und grüblerisch, ist der Film zwar nie spannend oder besonders phantastisch. Aber wenn Almereyda mit den Versatzstücken des Genres spielt, ist er oft wirklich überraschend und witzig. In einer Sequenz borgt er sich sogar eine Einstellung aus Tod Brownings Draculafilm von 1930, so daß Bela Lugosi für Sekunden in der Rolle von Nadjas Opa zu sehen ist. Wenn diese über weite Entfernungen mit ihrem Bruder übersinnlichen Kontakt aufnimmt, erklärt der es seinen sterblichen Freunden als „eine Art telepathisches Fax“, und wenn Van Helsings Schwiegertochter sich über ihre allzu religiösen Eltern beklagt, sagt Nadja: „Wiedergeboren – ja, das kenn ich.“

Die Hauptrollen hat Almereyda mit Elina Löwensohn (Nadja) und Martin Donovan (Van Helsings Sohn) besetzt, beide Stammgäste in den Filmen von Hal Hartley, an dessen neo-existentialistischen Stil zumindest die Dialoge von „Nadja“auch sehr erinnern. Die vielen Schatten, Unschärfen und schiefen Perspektiven hat Almereyda beim deutschen Expressionismus abgekupfert, und so ähnelt Elina Löwensohn, nachdem sie sich für das letzte Drittel des Films die Haare abrasiert hat, oft frappierend Max Schreck in Murnaus „Nosferatu“. Die verquere Ästhetik und die Traumlogik der Erzählung deuten schließlich auf den Einfluß von David Lynch, der den Film produzierte und in einer kleinen Nebenrolle zu entdecken ist. Aber Peter Fonda stiehlt allen die Show. Er gibt den Dr. Van Helsing als ständig bekifft wirkender Spät-Hippie, der sich beim finalen Schlag auf den Holzpfahl erstmal schlimm auf die Finger kloppt.

Wilfried Hippen

Kino 46, Freitag 20.30 Uhr und Sonntag 18.30 Uhr