■ Welt Weit Grönling
: Der Jahrtausendfehler

Als das Fernsehen am Wochenende das Großereignis „Noch 1000 Tage bis zum Jahr 2000“ feierte, wurde mir ganz mulmig. Keine Zeile werde ich dazu kolumnieren, nahm ich mir vor, schließlich ist das Kalenderjournalismus, und überhaupt: Was hat das Internet damit zu tun? Was mag auf uns zukommen, wenn in der Nacht der Nächte das nächste Jahrtausend beginnt?

Überhaupt nichts, und das ist beruhigend. Vermutlich wird Kohl dann immer noch Kanzler sein – bei jeder Wahl fällt mir immer nur die Binsenweisheit ein, nach der sich nur die dümmsten Kälber ihre Schlächter selber suchen. Oder waren es dicke Kartoffeln auf der Suche nach dummen Bauern? Oder umgekehrt?

Die Industrie bereitet sich auf das Ereignis vor, von Blume 2000 bis zum Turnschuh, von der Operngala-CD bis zur Fernsehshow werden unzählige Jahrtausend-Produkte für den Jahrtausend-Reibach sorgen. Und so, wie es aussieht, wird es auch ein Windows 2000 geben, in das alles integriert ist, was das Surferherz (angeblich) begehrt.

Wirklich wichtig ist das nicht, zumindest nicht aus heutiger Sicht. Oder etwa doch? Der Millennium Bug, der Jahrtausendfehler wird Nerven und Geldbeutel zumindest der gewerblichen Computernutzer arg strapazieren. Das Systemdatum der älteren Programme kennt keinen Jahrhundert- oder gar Jahrtausendwechsel. Es ist schlicht zweistellig ausgelegt, auch wenn es etwas anderes anzeigt. Das bedeutet, daß es von 1997 bis 2000 nicht drei Jahre sind, sondern minus 97. Was für Textverarbeiter und Surfer keine Rolle spielt, ist für andere fatal. Fast jede Buchhaltung, jede Kalkulation, bei der Zeit eine Rolle spielt, wird damit Probleme haben. Die zu beheben wird aufwendiger und teurer als die Umstellung auf die neuen Postleitzahlen vor ein paar Jahren. Und wieder einmal werden die Anwender für die Versäumnisse der Computerindustrie zur Kasse gebeten.

Bill Gates verspricht zwar, daß in der nächsten Windows- Version auch dieser Fehler behoben sein wird, aber der hat schon viel versprochen. Und was ist mit all den anderen Systemen, gibt's die dann überhaupt noch? Und wird das Internet dann endgültig in der Hand derjenigen sein, die uns schon heute die Illusion von einem freien, unkontrollierten Netz für alle geraubt haben?

Der Countdown läuft, und jede Sekunde, die auf dem Zählwerk am Pariser Eiffelturm nach unten tickt, jagt mir einen neuen Schrecken ein. Und das betrifft nicht nur das Internet. Dieter Grönling

groenling@compuserve.com