Die Reisende als Heldin

■ Ulla Siebert referierte über kühne Frauen des Kaiserreichs

Als das Reisen längst zum Massenphänomen geworden war, Mitte der 80er Jahre unseres Jahrhunderts, entdeckten Forscherinnen Frauen, die rund hundert Jahre früher unter zum Teil erheblich schwierigeren Bedingungen die Welt bereist hatten. Aber waren sie deshalb alle Heldinnen, Grenzüberschreiterinnen, Abenteurerinnen?

Die Ethnologin und Frauenreiseforscherin Ulla Siebert ging am Montag im Frauenbildungszentrum Denk(t)räume der Frage nach, warum das Interesse an den reisenden Frauen so groß ist und wie die interessierte Öffentlichkeit diese Frauen versteht und bewertet.

Abenteurerinnen seien sie gewesen, kühne Frauen, die furchtlos in entlegenste Gebiete vorgedrungen seien, so verstanden bereits ihre Zeitgenossinen die Verfasserinnen von Reiseberichten. An dieser Interpretation hat sich, Ulla Siebert zufolge, bis heute wenig geändert. Daneben wird die Begegnung mit der weiten Welt auch als Ausbruch und Aufbruch aus der Enge der Häuslichkeit bewertet.

Diese „verliebte Sicht auf die reisende Frau als Heldin“ möchte Ulla Siebert überwinden. Statt dessen plädiert sie für eine kulturkritische Auseinandersetzung mit den Abenteurerinnen, die die Widersprüchlichkeiten in den Berichten der Frauen nicht übergeht. Ein differenzierter Blick sei nötig, der die rassistischen Vorurteile der Frauen nicht zu mangelndem Verständnis verniedlicht. Denn während die männlichen Forschungsreisenden des Kaiserreichs im Kontext von Kolonialismus und Rassismus inzwischen kritisch gesehen werden, dienen ihre weiblichen Pendants weiter ungebrochen als Idole für Frauen.

Die Ergebnisse einer ersten Tagung zu diesem Thema, die 1993 in Bremen stattfand, sind zu einem Sammelband geronnen: Und tät' das Reisen wählen. Frauenreisen – Reisefrauen; herausgegeben von Doris Jedamski, Hiltgund Jehle und Ulla Siebert; eFeF-Verlag, 312 S., 37,– Mark

Iris Schneider