Professor Lindenstraße

■ ARD-Seifenoper wurde Habilitations-Thema

Hannover. Sonntag, 18.40 Uhr. Klaus Beimer regt sich über den Straßenverkehr auf, Iffi verbockt ihre Abi-Klausur und Gaby streitet mit Andi. „Fast wie bei uns“, denkt da so mancher und lehnt sich bequem im Fernsehsessel zurück: Die „Lindenstraße“ist eben mitten aus dem Leben gegriffen. Mit dieser weit verbreiteten Annahme will der Diplom-Pädagoge Peter Moritz nun ein für alle mal aufräumen. Seine Überzeugung: „Die Lindenstraße ist ein durch und durch künstliches Produkt – und nur deshalb wirkt sie so echt.“

Mit dieser These faßt er das Ergebnis fünfjähriger Untersuchungen zusammen – Moritz hat die „Lindenstraße“zum Thema seiner Habilitation gemacht. Schon viele wissenschaftliche Arbeiten sind über die Serie verfaßt worden, aber noch nie zuvor hat jemand sie als Sprungbrett zum Professorentitel benutzt. Am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Hannover erwarb der 35jährige jetzt die Lehr-Erlaubnis.

Während seiner Recherche stellte Moritz fest: „Die Lindenstraße ist ein Arrangement aus unterhaltenden, verdummenden, erhellenden, identifikatorischen und pointenreichen Elementen.“Das raffinierte Zusammenspiel von Text und Inszenierung vermittle dem Zuschauer ein Gefühl von Authentizität, wobei er in Wirklichkeit von der Kunst der Dramaturgie getäuscht werde.

Die Dialoge transportierten oft eine geradezu „abgedroschene Laienpsychologie“, und die Darstellungsweise der Charaktere sei durch extreme Gestik und Mimik völlig überzogen, meint Moritz: „Wer sich im richtigen Leben so benähme, der würde für verrückt erklärt.“So etwa, wenn Mutter Beimer ihren Klausi mit ausgewählten Worten tadelt, während sie gleichzeitig emsig mit der Bratpfanne hantiert. Oder Berta Griese, die trotz Tablettensucht noch im schlimmsten Beziehungsstreit tiefschürfende Diskussionen führen kann. Trotzdem erzeugten solche Szenen beim Zuschauer ein „seltsames Gemisch aus Unterhaltung und Betroffenheit“, fand Moritz heraus.

Alltagsnah seien dagegen häufig die Themen, die in der Serie behandelt werden: Krankheit, Kriminalität und Ehekrisen berühren viele Menschen. Doch angesichts der verschärften Konkurrenz durch andere deutsche Vorabend-Seifenopern würden die Themen in der „Lindenstraße“nach mittlerweile zehn Jahren und fast 600 Folgen zunehmend abstruser, beobachtete Moritz. Zwei Teenager, die einen Priester mit der Bratpfanne erschlagen, ein Gastronom, der von der Mafia erschossen wird, und ein Querschnittsgelähmter, dessen Frau plötzlich bisexuell wird – „das sind Bereiche, mit denen sich nur noch die wenigsten Zuschauer identifizieren können“. dpa

Die Habilitation von Peter Moritz ist unter dem Titel „Seife fürs Gehirn“im Buchhandel erhältlich