„Wir sind Anti-Künstler“

■ Bremer Designer unternahmen eine Interview-Reise durch halb Europa und brachten jede Menge Erfahrungen mit

Bei einem Workshop an der Bremer Hochschule für Gestaltung hat drei junge Designer das Reisefieber gepackt. Die inzwischen in Bremen selbständigen Gestalter Tammo F. Bruns und Karsten Unterberger sowie der unlängst nach Berlin abgewanderte Frank Schulte brachen zu einer Interviewreise quer durch Europa auf. Angefangen beim Gardena-„Erfinder“Franco Clivio und nicht aufgehört beim Zeit-Schmecker Wolfram Siebeck geben 14 namhafte Designer Auskunft über ihre Profession, ihre Berufung und ihre Sicht der Welt. Genug für ein Buch namens „Design is a journey“, das jetzt im renommierten Springer-Wissenschaftsverlag erschienen ist. Genug auch dafür, Bruns und Unterberger nach ihren Erfahrungen mit Design-Reisen zu befragen.

taz: Sie haben keine Frauen interviewt. Ist Design Männersache?

Tammo F. Bruns: Nein, aber wir haben Designer aus der 68er-Generation gefragt, und da gibt es – in Europa – in der Tat wenig Frauen. Wir hatten überlegt, die Vivianne Westwood für die Mode zu nehmen, doch das erschien noch komplizierter – die einzige Frau, die dann ausgerechnet Mode macht.

Wie haben Ihre Interviewpartner reagiert?

Karsten Unterberger: Die Designer waren alle sehr aufgeschlossen. Die haben gemerkt, daß wir nicht darauf aus waren, das schillernde Leben dieser Leute zu zeichnen. Und vor allem war positiv, daß wir einer anderen Generation angehören. Dadurch haben die kein Blatt vor den Mund genommen.

Trotzdem sind schillernde Leute interessant. Gab es Überraschungen?

Bruns: Bei Kurt Weidemann tauchten wir mittags auf, und der fragte ,'n Bier mögt Ihr doch?' Und wir sagten, mmh, ja. Nach dem fünften Bier sagt der: ,Trocken kriegt man das Bier nicht runter – 'n Schnaps mögt Ihr doch'. Aber im Ernst: Was überraschend war, daß sehr viel aus seiner Arbeit und Kundeneinschätzung aus seiner Kriegsgefangenschaft hergeleitet ist.

Sie sind beide Praktiker. Was war Ihr ureigenes Interesse an dem Projekt?

Bruns: Spaß – so ein Projekt gibt einem kein Kunde. Und zweitens: Eine Orientierungshilfe. Der Versuch, Design richtig zu machen und nicht nur auf's schnelle Geld zu gucken, sondern zu sagen, ich mache was gutes.

Sie haben mehrere Fragen immer wieder gestellt. Dazu gehört die Otl-Aicher-Frage. Der Gestalter Aicher war der Überzeugung, Design müsse die Gesellschaft verändern. Stellt man sich diese Frage heute noch?

Unterberger: Wir haben diese Frage bewußt gestellt, um die Gesinnung dieser Leute herauszufinden. Doch die meisten haben die Otl-Aicher-Gesinnung nicht. Die sind pragmatische Realisten.

Bruns: Ethik spielt aber eine Rolle: Daß man sich nicht zum Handlanger macht. Und es gibt auch Design-Aufgaben, die eine mehr oder minder existentielle Bedeutung haben. Eine Autobahnbeschilderung ist existentiell. Oder: Wie benutzt man das Fahrplansystem der Bremer Straßenbahn AG. Das ist eine Design-Aufgabe. Diese Bereiche gibt es in fast jedem Unternehmen.

Unterberger: Design wird meistens dazu benutzt, um Verkaufsfördermaßnahmen auf einem ästhetisch anderen Niveau zu positionieren. Das ist es, wenn Politiker über Design als Wirtschafsfaktor sprechen. Wir wollten gereade diesen Widerspruch klar machen: Natürlich muß sich Design verkaufen. Aber zugleich hat Design auch einen kulturellen Anspruch. Designer sind nicht nur Wirtschaftsfaktor und machen nicht bloß Schickimicki. Man muß sich für die visuelle Kultur mitverantwortlich fühlen. Im internationalen Vergleich ist deutsches Design immer noch Braun, Siemens, Ulm und Bauhaus, und darüber muß man sich Gedanken machen.

Bruns: Es hakt an der Kommunikation. Die Designer diskutieren und die Unternehmer diskutieren. Doch man kommt zu selten zusammen. In Bremen gibt es zum Beispiel 140 Design-Büros, die auf sehr unterschiedlichem und zum Teil sehr hohem Niveau arbeiten. Ein Bremer Unternehmer muß nicht nach Hamburg oder London gehen.

Wenn sich Produkte kaum noch unterscheiden, spielt Design eine immer größere Rolle. Was muß in der Ausbildung verbessert werden?

Unterberger: In Deutschland gibt es das Problem, daß viele Hochschulen an der Kunst orientiert sind. Das gilt auch für Bremen, obwohl die HfK eine sehr gute Hochschule ist.

Bruns: ...der Spiekermann sagt, ,ich bin per definitionem Anti-Künstler'. Ich kriege Aufgaben gestellt, die mein Kunde lösen will. Und ich muß mit großen Massen von Menschen kommunizieren. Natürlich gibt es einen innovativen und kreativen Aspekt. Aber ich fühle mich nicht als Künstler.

Unterberger: Hochschule muß einfach lehren, sich nicht zu früh zufrieden zu geben. Deshalb gibt es so viel schlechtes Design.

Bruns: Als wir angefangen haben, fragten wir uns, Wirtschaft, wie geht das. Wir mußten alle Fehler selbst machen und auch teuer bezahlen. Doch zum Thema Praxisbezug und Ausbildung haben fast alle gesagt, daß man das nicht lehren kann. Spiekermann sagte, man kann Existenzangst nicht lehren.

Vor einigen Monaten hat ein Gutachten die Arbeit des Bremer Design-Zentrums unter die Lupe genommen und empfohlen, Multimedia besonders zu fördern. Eine gute Empfehlung? Und: Welche Rolle spielen diese neuen Technologien?

Unterberger: Ich bin da skeptisch. Ich denke, daß Designer in Zukunft alle Register ziehen können müssen, um Kunden anzusprechen. Multimediale Anwendungen gehören sicher dazu.

Bruns: Die technische Spezialisierung kann man nicht trennen von der gestalterischen und konzeptionellen. Die Folgen sieht man im Internet. Alle möglichen Firmen sind heute im Internet, doch wenn man nach ihnen sucht, stellt man fest, daß sie eigentlich nicht da sind. Es hat sich keiner hingesetzt und gefragt, wie man diese tollen Möglichkeiten nutzen kann. Multimedia allein sagt mir nichts, das ist ein Werkzeug.

Unterberger: Ein Computer bietet viele Optionen, doch der Designer sitzt davor wie ein Schriftsteller vor dem weißen Blatt. Die Schreibmaschine nimmt ihm seine Arbeit nicht ab.

What makes you tick?

Bruns: Beruflich macht mich „ticken“, daß es eine Vielzahl von zu lösenden Aufgaben gibt. Das ist wie früher bei den Matheaufgaben – manchmal stand auch drunter „5 – der Weg war falsch!“, was ich ganz gut fand. Es gibt ständig neue Bereiche, mit denen man sich auseinandersetzen muß.

Unterberger: Ich seh das ähnlich. Der Michael Menzel sagt, „ich kann ja nichts anderes“.

Fragen: Christoph Köster

Das Interviewbuch „Design is a Journey“ist im Springer-Verlag erschienen und kostet 68 Mark