„Wir erleben eine Krise der Illusion“

■ Lateinamerikanische Filmtage: Ein Gespräch mit Daniel Díaz Torres über kubanischen Film

Im Rahmen der Lateinamerikanischen Filmtage zeigt das 3001 Kino zwei Filme des kubanischen Regisseurs Daniel Díaz Torres: Quiéreme y verás („Liebe mich, und du wirst schon sehen“) und Alicia am Ort der Wunder. Torres ist seit 1968 Mitglied des ICAIC (Kubanisches Institut der Künste und cinematographischen Industrie) und begann seine Laufbahn als Dokumentarfilmer für das kubanische Fernsehen.

taz: Die wirtschaftliche und soziale Situation in Kuba ist derzeit alles andere als gut. Wie wirkt sich das auf den Film aus?

Daniel Díaz Torres: Natürlich hat die wirtschaftliche Situation einen direkten Einfluß, denn es ist teuer, Filme zu drehen. Aber im ICAIC versuchen wir, neue Geldquellen zu erschließen: Durch Co-Produktionen – vor allem mit Spanien und Frankreich – oder das Vermieten von Technikern und Drehorten. Mit diesem Geld werden dann andere Filme produziert – mein Film Quiéreme y verás beispielsweise. Trotzdem mußten wir unsere Produktion einschränken. Vor fünf Jahren machten wir noch ungefähr neun Spielfilme, in diesem Jahr sind es vier.

Zeigt das kubanische Kino die Probleme des Landes?

Das kubanische Kino war niemals ein „offizielles Kino“. Seine Geschichte zeigt, daß wir zu allen Zeiten sehr kontroverse Filme über die drängendsten Probleme der Gesellschaft machten, „Tod eines Bürokraten“ von 1966 etwa. Ich glaube, wir erleben zur Zeit die wohl schwierigste, widersprüchlichste Phase unserer Geschichte. Und wenn man versucht, die Menschen für etwas zu interessieren, muß man diese Spannungen zeigen.

Gibt es typisch kubanische Stilmittel und Themen?

Ich glaube nicht. Das kubanische Kino war immer sehr vielfältig. In den besten kubanischen Filmen habe ich allerdings einen ganz besonderen Humor gespürt. Eine bitter-süße Ironie, die vielleicht unserem Temperament entspricht. Diesen Humor finde ich auch gerade in manchen neueren Produktionen wieder.

Welche Einflüsse waren für Sie bedeutsam?

Ich mag Woody Allen, Bullets over Broadway insbesondere; Buster Keaton; Monthy Python, Terry Gillian, ich mag diesen subversiven Humor. Wir haben in Kuba immer Filme aus aller Welt gesehen, es gab keine Zensur, wie in anderen sozialistischen Staaten. So sind die Einflüsse sehr vielfältig. Das wichtigste ist, offen für die Wirklichkeit zu sein und zu versuchen, einen subjektiven Ausdruck zu finden – und etwas Neues zu wagen.

Ihr Film „Quiéreme y verás“ ist nach Ihren eigenen Worten nicht metaphorisch. Sie wollen ein realistisches Bild des heutigen Havanna zeichnen. Andererseits ist Ihnen die Idee der Illusion sehr wichtig.

Das ist kein Widerspruch. Im Film können Sie sehen, daß Wirklichkeit und Vorstellung sich die Waage halten. Es ist ein Film über Havanna, über einen besonderen Menschen, der große Illusionen hat, doch die Wirklichkeit arbeitet gegen ihn. Besessen versucht er, seine Illusion zu bewahren.

Ich glaube, ein großes Problem im heutigen Kuba ist der Verlust der Illusionen, der Ideale. Nicht nur für die junge Generation. Wir leben in einer Krise der Illusion. Dabei ist es sehr schwierig weiterzuleben und den Glauben an etwas, das über den Alltag hinausgeht, verloren zu haben. Darin liegt eine Gefahr: Wenn die Menschen keine Hoffnungen mehr haben, können sie die Probleme der Gegenwart nicht lösen.

Ich gebe nicht vor, Lösungen parat zu haben. Um mit Ibsen zu sprechen: Mein Beruf ist es, Fragen zu stellen, nicht Antworten zu geben.

Fragen: Hilmar Schulz

Heute läuft „Quiéreme y verás“ (OmU), 18 Uhr; morgen folgt „Alicia am Ort der Wunder“ (OmU), 20.30 Uhr, jeweils 3001-Kino, Schanzenstr. 75