Fenster zur Bühne

■ Seit zehn Jahren leitet Jürgen Flimm das Thalia Theater In einem Gespräch mit Hellmuth Karasek zog er Bilanz

Wovon träumt Jürgen Flimm, 54 und seit zehn Jahren Direktor des Thalia Theaters? „Am schönsten wär's, wenn das Thalia Theater in Köln stände.“ Und am liebsten nähme er das in seiner Treue kaum zu überbietende Hamburger Publikum dorthin mit. Treue zollt auch Flimm der erfolgreichsten deutschen Sprechbühne, die in dieser Saison 250.000 Besucher anlockte: Der Verlängerung seines Vertrages bis 1998 hat er deshalb zugestimmt.

Zur dezenten Feier der Dekade schoben sich Flimm und der Spiegel-Redakteur Hellmuth Karasek am Mittwoch abend frei nach dem Motto „Zwei Stühle, eine Meinung“ im Mittelrang-Foyer des Thalia die Döntjes zu: Übers hochverehrte Publikum, über die ebenso geliebten wie erfolgreichen Schauspieler und Schauspielerinnen („Ich habe Konflikte nicht wahnsinnig gern. Nur gibt's in jedem Ensemble 17 Hamlets, da muß man sich ja gegen Leute entscheiden“), über Shakespeare („Ich weiß genau, wie man's macht, aber ich krieg's nicht hin“) und Tschechow: „Ich mag Tschechow, weil seine Personen so doof sind. Es sind die Mittelmäßigen, die sich mit Skrupeln plagen.“ Die psychologische Tiefe in den Stücken des russischen Doktors auszuleuchten gelang ihm und seinem alles andere als mittelmäßigen Ensemble am eindrucksvollsten mit Platonow.

Die Black Rider-Premiere 1990 erinnernd, reißt der ansonsten ruhige Flimm jubelnd die Arme in die Luft. Das Gemeinschaftswerk von Robert Wilson, William S. Burroughs und Tom Waits avancierte zur teuersten („Der Aufsichtsrat machte damals Augen und Ohren zu“) und mit 150 Aufführungen in aller Welt auch zur erfolgreichsten Thalia-Produktion. Die Zusammenarbeit mit Wilson will Flimm auch in Zukunft fortsetzen.

Marginal streifte die Plauderei die politischen Stationen Flimms in Hamburg, wo er mit Kultursenatorinnen und -senatoren bis dato keine Probleme hatte: Wie er sich 1988 schützend vor die Hafenstraße stellte, welchen Ärger der mit dem Thalia-Ensemble realisierte Film Stammheim oder auch Klaus Pohls Bänker-Drama Das heiße Geld auslöste. Außen vor blieb die Häme, die Flimm sich mit Good-Will-Veranstaltungen zu Rassismus in Deutschland und 50 Jahre Kriegsende einheimste.

Am Ende bedankte Flimm sich brav bei den Thalia-Mitarbeitern, beim Publikum und nicht zuletzt den Steuerzahlern. Ein Kölner Politiker gab ihm einst mit auf den Weg: „Der Intendant hat dat Fenster auszusuchen, wo dat Geld rausgeschmissen wird.“ Wenn man dabei so viel Erfolg vorzuweisen hat, wie Jürgen Flimm, dann ging sein Fenster vielleicht zur Bühne.

Julia Kossmann