■ Karlsruhe: Überhangmandate sind verfassungskonform
: Unerträglich für die Demokratie

Das Bundesverfassungsgericht hat schon oft bewiesen, daß es die Wirkungen seiner Urteile auf die Tagespolitik in seinen Entscheidungen berücksichtigt. So war denn auch nicht zu erwarten, daß Karlsruhe so kurz vor den nächsten Bundestagswahlen die Zusammensetzung des Parlaments für verfassungswidrig erklären würde. Im Gegenteil, überraschend ist, wie knapp es diesmal nur dazu gereicht hat, den bestehenden Verhältnissen den juristischen Segen zu geben.

Mit Stimmengleichheit haben die Richter eine Klage gegen die Regelung der Überhangmandate zurückgewiesen. Eine Partei darf also auch weiterhin Sitze im Parlament behalten, die ihr zufallen, wenn sie in einem Bundesland mehr Direktmandate erringt, als ihr nach Prozenten zustehen.

Die Folgen sind im Blick auf die Demokratie unerträglich. Von den Überhangmandaten profitieren in den alten Bundesländern nur die großen Parteien, weil ausschließlich sie dort eine Chance auf Direktmandate haben. Die CDU kann das Überleben der FDP mit einer Zweitstimmenkampagne nur dank der derzeitigen Regelung sichern. Sie brauchte für ein Mandat bei den letzten Wahlen rund 4.000 Stimmen weniger als die Grünen. Das verfälscht den Wählerwillen. Eine neue Regelung ist überfällig, ungeachtet des Spruchs aus Karlsruhe. Zu hoffen steht, daß die knappe Entscheidung des Gerichts in dieser Hinsicht den Druck auf den Bundestag erhöht.

Neben den Überhangmandaten hatte das Gericht auch über die Dreimandatsklausel zu entscheiden. Sie ist sowohl verfassungsrechtlich als auch politisch vor einem anderen Hintergrund zu sehen. Die Richter haben ebenfalls für verfassungskonform erklärt, daß eine Partei mit drei Direktmandaten nicht die Fünfprozenthürde überspringen muß, um in den Bundestag zu kommen. Die PDS kann aufatmen.

Diese Regelung ist – anders als die Überhangmandate – sinnvoll und gerechtfertigt. Gäbe es sie nicht, würden ausgerechnet diejenigen in den neuen Bundesländern, die sich ohnehin als Opfer der Einheit fühlen, im Parlament künftig voraussichtlich nicht mehr vertreten sein. Das wäre weit mehr eine Verfälschung des Wählerwillens als der Einzug einer starken Regionalpartei in den Bundestag und darüber hinaus für den inneren Frieden der Bundesrepublik gefährlich. Bettina Gaus