Krieg als Tradition

■ Ein Diskussion zur Altlast Wehrmacht

„Ich war selber an der Front, und diese Erschießungsbefehle, von denen sie sprechen, sind nie bei mir angekommen!“ Keine Diskussionsveranstaltung, die sich mit den Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg beschäftigt, scheint ohne die erregten älteren Herren auszukommen, die gegen die Zerstörung ihres idealisierten Vergangenheitsbildes ankämpfen. Und dabei ging es bei der Diskussion am Dienstag abend im Curio-Haus eigentlich gar nicht um die Wehrmacht selbst. Altlast Wehrmacht – Die Bundeswehr und ihre Traditionen war das Thema, zu dem das Hamburger Institut für Sozialforschung geladen hatte.

Die bewährten Kräfte des Hauses, allen voran Hannes Heer, hatten sich eigentlich mit Funktionären der Bundeswehr über deren Traditionspflege unterhalten wollen, doch von seiten der Führungsakademie hatte man nur einen etwas überforderten zwanzigjährigen Hauptgefreiten geschickt.

Diese Vogel-Strauß-Politik offenbarte jedoch das Dilemma, in dem sich die Truppe schon von ihrer Gründung an befindet: Einerseits will man nichts mit der unmittelbaren Vergangenheit zu tun haben und eine neue, an demokratischen Werten orientierte Tradition schaffen, andererseits wurde von den Militärs seit jeher der Mythos von der schlagkräftigen Volksarmee Wehrmacht hochgehalten. Der Schweigekonsens, der in der bundesrepublikanischen Gesellschaft der 50er und 60er Jahre über die Beteiligung der Wehrmacht an den Nazi-Verbrechen herrschte, verhinderte zudem eine Aufarbeitung dieser Vergangenheit über die militärgeschichtliche Forschung hinaus.

Daß sich daran bis heute wenig geändert hat, wurde in der Diskussion schnell deutlich: Wie schon die Traditionserlässe von 1957 und 1982 eher als Stillhalteabkommen zu interpretieren sind, drückt sich auch der in letzter Zeit eingeschlagene Kurs der Reduzierung auf Operationsgeschichte um eine klare Bestimmung der eigenen Tradition und läßt das Fortleben der verhängnisvollen Wehrmacht-Mythen zu. Zumal – wie ein Zuhörer anmerkte – die Tradition einer Armee immer aus Kriegen bestehe, und da habe die Bundeswehr eben nichts aufzuweisen außer Truppenübungen.

Gerade weil der Bezug auf die Anfangsphase des Zweiten Weltkrieges angesichts der neuen Außenorientierung der Militärpolitik an Gewicht gewonnen habe, sei es, wie Heer abschließend meinte, von entscheidender Bedeutung, diese Strategiediskussion jetzt in die Öffentlichkeit zu ziehen und das Feld nicht den Rühes und Naumanns zu überlassen. Jörg Königsdorf