„Die Kirche muß ethische Grenzen ziehen“

Die Evangelische Kirche diskutiert momentan heftig um Homoehe und alternative Lebensformen. Der Schleswiger Bischof Hans Christian Knuth und der Hamburger Pastor Horst Gorski setzen den Streit fort  ■ Moderation: Jan Feddersen & Severin Weiland

taz: Bischof Knuth, Sie tragen einen Ehering. Wenn Herr Gorski ebenfalls ein Treuesymbol am Finger tragen würde, das einem Mann gälte – hielten Sie das für unmoralisch?

Hans Christian Knuth: Nein, aber man muß in dieser Frage individual- und sozialethisch unterscheiden. Wobei ich kein Zyniker bin, der sagt, der Trauschein ist alles, und der Rest ist mir gleichgültig. Natürlich kommt es in oder außerhalb der Ehe, in allen zwischenmenschlichen Beziehungen darauf an, daß ich mich nach dem christlichen Liebesgebot richte. Unter dieser Prämisse steht das Verhältnis zu meiner Frau ebenso wie ein flüchtiger Kontakt zu einem Menschen im Supermarkt.

Horst Gorski: Ihr Beispiel lenkt vom Problem ab. Wir müssen fragen: Was ist überhaupt eine Ehe? Leben nicht zwei Menschen, die sich versprochen haben, lebenslang treu zu sein, in einer Ehe? Das wäre dann eine dokumentenfreie Ehe. Die Definition ist stets Veränderungen unterworfen gewesen. Das ist kultur- und nicht schöpfungsbedingt. Mir kommt das so vor, als wenn sie der Überzeugung sind, daß alle dokumentenfreie Partnerschaften Sünde sind. Sie sprechen das nicht direkt aus, weil Sie ein freundlicher Mensch sind, aber letztlich steckt das doch dahinter.

Knuth: Eine Unterstellung! Wir stehen da vor einem schweren Dilemma. Der biblische Befund ist eindeutig...

Gorski: ... die Klarheit wird nur von einigen behauptet...

Knuth: ... es gibt den Konsens innerhalb der EKD, daß die Gleichrangigkeit von eheähnlichen Lebensgemeinschaften dem biblischen Befund widerspricht.

Gorski: Der Rat der EKD hat keine theologische Weisung.

Knuth: Bruder Gorski, Homosexualität ist kein Amtshindernis mehr in unserer Kirche. In der Bibel allerdings...

Gorski:... die Phänomene, von denen Paulus in seinem ersten Korintherbrief und Römerbrief schreibt, haben doch mit unseren Vorstellungen von gleichgeschlechtlicher Partnerschaft nichts zu tun. Auch mit dem biblischen Satz „Das Weib schweige in der Gemeinde“ würde sich die Kirche heute – zu Recht – lächerlich machen.

Knuth: Natürlich können historische Schriften nicht unreflektiert übernommen werden.

Gorski: Das Dilemma ist doch nicht theologischer, sondern politischer Natur. Kirchenleitende Personen wie Sie haben sich doch von fundamentalistischen Positionen längst abgewandt, halten aber aus kirchenpolitischen Gründen an einer starren Haltung fest, um die Interessen fundamentalistischer Gruppen zu befriedigen. Diese sind es, nicht wir, die mit Spaltung drohen.

Ob nun hetero- oder homosexuelle Paare in der Kirche – die Vorbildfunktion müßte doch nur sein: Sie lieben sich.

Knuth: Auch die heterosexuellen Paare können doch nicht nur nach ihren Gefühlen gehen. Der Pfarrer, der sich in seine Konfirmantin verknallt, ist auch untragbar. Zu sagen, auf der einen Seite wird unterdrückt, also geben wir alles frei, kann nicht richtig sein.

Gorski: Die Kirche hat sich in diesem Punkt immer der Gesellschaft angepaßt. Vor 30 Jahren verlor ein Pastor, der sich scheiden ließ, seine Stelle. Dann wurde er mindestens versetzt. Diese Härte ist glücklicherweise etwas aufgeweicht. Angesichts der heute vergleichsweise liberalen Handhabung solcher Fälle ist es unehrlich, sich auf bestimmte theologische Grundpositionen zu berufen.

Knuth: Sicherlich haben wir heutzutage mehr Verständnis für Ehen, die in die Brüche gehen.

Gorski: Sie sprechen jetzt wieder nur von Verständnis – und meinen doch Sünde, oder?

Knuth: Das reformatorische Sündenverständnis macht sich nicht fest an moralischen Entscheidungen ...

Gorski: Weichen Sie nicht aus. Sie wissen, wie ich die Frage meine.

Knuth: Dem biblischen Gebot widerspricht es.

Gorski: Also doch eine Sünde?

Knuth: Sie dürfen micht nicht auf diese Alternative festlegen, weil viele Menschen darunter etwas anderes verstehen. Ich bin selbst ein Sünder. Am Jüngsten Tag stehen wir vor dem gleichen Richter.

Gorski: Mit Ihrer Nivelliereung weichen sie der Tatsache aus, daß wir beide nicht einfach in einem luftleeren Raum argumentieren. Was ich sage, hat auf Ihr Leben keinen Einfluß. Was Sie sagen, wirkt sich auf mich sehr wohl aus, und zwar negativ. Und dieses Recht, das nehmen Sie sich.

Warum kann ein schwuler Pfarrer kein Vorbild sein?

Knuth: Natürlich kann er das. Wenn es aber darum geht, das Leitbild von Ehe und Familie zu stärken – und das ist der kirchliche Auftrag –, dann muß er sich danach richten.

Gorski: Ich halte die ganze Leitbildfunktion der Ehe für ein Phantom. Ob die Kirche nun an ihrem Leitbild festhält oder nicht – die Gesellschaft wird darüber achselzuckend hinweggehen.

Knuth: Wenn ich Leitbild sage, schließe ich doch andere Formen des Zusammenlebens nicht aus. Die Diskussion in der Nordelbischen Kirche geht doch darum, ob neben der Ehe andere Formen gleichberechtigt werden. Die Kritiker sagen, die Kirche sei ehezentristisch. Genau das aber ist gewollt. Das heißt nicht, das andere Formen diskriminiert werden.

Gorski: Doch!

Knuth: Ich empfinde das nicht als Diskriminierung, wenn es eine Rangordnung der Formen des Zusammenlebens gibt.

Es klingt aber wie: Ehe sehr gut, der Rest na ja.

Knuth: Das ist ein Punkt, der mir sehr zu schaffen macht. Daß man, was immer man sagt, Menschen verletzt. Aber ich bin von der christlichen Ethik doch ebenso betroffen. Sie diskriminiert ja auch mich, wenn Jesus sagt: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, hat schon die Ehe mit ihr gebrochen.

Gorski: Das klingt wie eine Ausrede. Tatsache ist, daß die Kirche gleichgeschlechtlichen Paaren die volle Anerkennung versagt. Und wie sich das auswirken würde, wenn es in diesem Land wieder einmal einen Rechtsruck gibt, mag ich mir nicht ausmalen. Die unbewußte Wirkung, die die Kirche ausübt, ist doch Futter für jene, die eines Tages wieder anfangen zu verfolgen.

Knuth: Es ist doch so, daß auch Homosexuelle in den Kirchengremien vertreten sind. Insofern haben wir doch schon eine faktische Anerkennung.

Gorski: Aber nichts ist rechtssicher. Solange eheähnliche Gemeinschaften im Pfarrhaus nicht anerkannt werden, solange weiß jedes Gemeindemitglied, daß solche Paare nur geduldet werden.

Knuth: Ein Zusammenleben unverheirateter homosexueller Paare im Pfarrhaus kommt für mich wirklich nicht in Frage. Da halte ich es mit dem Bischofskollegium: Nichts ist offiziell bekannt und nichts legitimiert.

Gorski: Was Sie mir zugestehen, ist ein Privatleben im Untergrund. Ob ich jeden Abend in Hamburg in die Szene gehe und mir da einen Partner für einen Abend suche, darüber wird der Mantel des Schweigens gelegt. Aber in dem Moment, wo ich mit einem Partner in guten wie in schlechten Zeiten genau nach den Grundsätzen der Kirche leben möchte, kommen Sie daher und sagen: Das darfst du nicht. Das, Herr Knuth, ist in meinen Augen Heuchelei.

Knuth: Dagegen wehre ich mich energisch. Die Alternative wäre, daß wir wie Geheimdienste anfangen würden zu schnüffeln.

Gorski: Was Sie mir da zumuten, wissen Sie als Seelsorger sehr genau. Als mein Kirchenvorstand mich vor achteinhalb Jahren gewählt hat, hat er zu meiner Homosexualität nichts gesagt. Aber alle haben still gehofft: Hoffentlich bleibt er dabei, alleine zu leben. Später haben sie ihre Position geändert und gesagt: Wenn wir nicht auch B sagen, dann machen wir unseren Pastor kaputt.

Wäre es nicht besser, die Kirche nähme ihre Leitbildfunkion dergestalt wahr, daß sie beispielsweise den Eltern homosexueller Kinder sagt: Begleitet sie, schließt sie nicht aus. Sie aber scheinen Homosexualität für nicht wünschenswert zu halten.

Knuth: Wenn ich sehe, wie sehr auf diesem Feld gelitten wird, kann ich nur sagen: Ich würde es jedem ersparen wollen.

Gorski: Das nun ist zynisch. Wenn es überhaupt ein besonderes Leiden homosexueller Menschen gibt, dann ist das doch durch die Haltung der Gesellschaft und der Kirche verursacht. Sie mit Ihrer Position gehören doch zu der Gruppe, die unser Leid verursachen.

Knuth: Ich schütze die Intimsphäre, ich wahre die Diskretion und Ihr Privatleben – wenn es nicht selber zum Inhalt der Verkündung gemacht wird. Das ist für mich nicht zynisch. Solange es Eure Sache ist, bleibt es Eure Sache. Wenn Ihr es aber zum kirchenpolitischen Thema macht und in eine Kampfzone führt, könnt Ihr nicht erwarten, daß man darauf mit seelsorgerischer Sensibilität reagiert.

Gorski: Ich finde es unglaublich, wie Sie die Dinge auf den Kopf stellen und unter dem Deckmäntelchen der Seelsorge die Unterdrückung fortsetzen.

Knuth: Ich bin doch auf der Suche nach klaren ethischen Kategorien. Ich frage Sie mal ganz direkt: Ich kenne Homosexuelle, die sagen: „Für mich kommt nur die Promiskuität in Frage. Wieso kommt ihr mit eurem Ehemodell und stülpt mir das über?“ Welche ethischen Kategorien sind für Sie da maßgeblich? Die Kirche muß doch ethische Grenzen ziehen. Warum dann aber bei der Promiskuität?

Gorski: Das ist doch überhaupt nicht die Streitfrage.

Knuth: Wieso? Es geht um ethische Kategorien. Wir sind uns doch einig, daß die Kirche Grenzen setzen muß.

Gorski: Einverstanden.

Knuth: Ohne Ausgrenzung geht es also nicht. Nennen Sie mir doch bitte die Grenzen.

Gorski: Ich kann die nur inhaltlich festmachen und nicht an der Form. Ich kann Ihnen nicht sagen, daß ich jede promiskuitive Form für Sünde oder ethisch ungerechtfertigt halte. Ich würde auch da auf den Inhalt gucken: Wenn hetero- oder homosexuelle Paare in beiderseitigem Einverständnis sich für eine Nacht zusammenfinden, sich nicht schädigen und keinen Zwang ausüben, dann kann ich darin nichts Verwerfliches sehen.

Knuth: Ich will das nicht moralisch verächtlich machen. Aber ich würde niemals sagen: Das steht nun neben der Ehe und ist so gut wie das andere.

Herr Gorski, der Bischof spricht doch ein gängiges Bild der Homosexuellen an, das Bild des promiskuitiven Mannes. Sind Homosexuelle so, oder liegt das am gesellschaftlichen Druck?

Gorski: Eine schwierige Frage. Ein Sozialethiker hat einmal gesagt, was Homosexualität ist, wissen wir gar nicht, weil sie bislang nicht repressionsfrei gelebt werden konnte. So, wie es zur Zeit ist, wollen viele kein festes Verhältnis und auch nicht auf Dauer in einem eheähnlichem Verhältnis zusammenleben. Die Möglichkeiten, die der Staat für Heterosexuelle bietet, sind auch ein Schutz für beide Menschen und vor allem für Kinder. Aber den sollten auch Homosexuelle in Anspruch nehmen können.

Knuth: Vielleicht treibt ja die Gesellschaft manche Menschen in die Promiskuität. Aber wir können es doch nicht dabei bewenden lassen, daß wir sagen, liebe unegoistisch, und dann ist alles möglich.

Gorski: Für mich wären Grenzen nur da zu ziehen, wo es um Sex mit Kindern geht. Darüber hinaus könnte ich nur sagen, was ich selbst für ethisch verantwortlich halte.

Uns ist immer noch nicht klar, weshalb schwule und lesbische Paare nicht in ein christliches Leitbild passen können.

Knuth: Ich muß davon überzeugt sein, daß es mit unserem Grundimpuls übereinstimmt. Was mich nun in jüngster Zeit nachdenklich macht, ist, daß der südafrikanische Bischof Tutu sagt, die Diffamierung der Homosexuellen sei Bestandteil des Rassismus.

Erst in der Nachkriegszeit hat sich das Bild der Christen nichteuropäischen Völkern gegenüber verändert.

Knuth: Richtig, das war ein Prozeß. Der hätte viel früher begonnen werden müssen. Auch hätte die Kirche ganz anders im Dritten Reich für die Juden einstehen müssen. So unterstreiche ich nochmals: Wenn Homosexuelle wieder zittern müssen, angegriffen werden, dann muß die Kirche erst recht hinter ihnen stehen. Das ist aber was anderes als die Leitbilddiskussion.

Gorski: Das ist es in der Tat.

Knuth: Wir müssen gegen Diskriminierung von Homosexuellen eintreten. Aber es gibt bestimmte Kriterien – zum Beispiel die Offenheit für die nächste Generation. Deshalb muß die Ehe weiterhin geschützt werden.