■ Iran: Der „kritische Dialog“ könnte im Mai wieder beginnen
: Erst die Politik, dann die Moral

In den deutschen Chefetagen herrscht Gelassenheit. Allenfalls kurzfristige Folgen werde das „Mykonos“-Urteil auf den Handel haben, heißt es von der deutschen Wirtschaft. Die Einschätzung dürfte richtig sein. Hinter Kinkels Erklärung, der „kritische Dialog“ sei „auf absehbare“ Zeit beendet, steckt Kalkül. Stichtag ist der 23. Mai, der Tag der iranischen Präsidentschaftswahlen – ein guter Zeitpunkt für einen „Neuanfang“ der deutsch-iranischen Beziehungen.

Zwar wird der nächste iranische Präsident, wenn nicht ein Wunder geschieht, Ali Akbar Nateq Nuri heißen. Ein Konservativer mit wenig Sympathien für laizistisch gesinnte Intellektuelle und Oppositionelle aller Art; aber ein Mann, der weiß, daß die Islamische Republik nur am Leben zu erhalten ist, wenn Geld in das Land kommt – ein guter Geschäftspartner also.

Dafür, daß Nateq Nuri die Wahlen gewinnt, muß nicht die iranische Bevölkerung sorgen. Viele hegen große Sympathien für Nateq Nuris aussichtsreichsten Gegenkandidaten Mohammad Chatemi – ein Liberaler sogar nach westlichen Maßstäben. Doch der ist mit Irans mächtigstem Mann verfeindet, dem Religiösen Führer Ali Chamenei – und dessen Einfluß wird es spätestens bei der Auszählung der Stimmen schon richten. Ohnehin befinden sich die in Teheran engagierten ausländischen Unternehmen derzeit in der Warteschleife. Seit Monaten sinken Irans Außenhandelsbilanzen. Der Grund: Chamenei und die Seinen haben die von Präsident Rafsandschani gewünschte wirtschaftliche Öffnung des Landes systematisch sabotiert. Doch schon präsentiert sich Nateq Nuri in Interviews vor allem mit ausländischen Zeitungen als Pragmatiker – solange es um Außen- und Wirtschaftspolitik geht. Nach seinem Amtsantritt könnten sich bisher unüberwindbare Handelsbarrieren plötzlich senken.

In der „Mykonos“-Debatte hält sich Nateq Nuri bisher auffallend zurück – als wolle er spätere Besucher nicht vergrätzen. Nach dem 23. Mai wird er eine von so finsteren Gestalten wie Geheimdienstminister Fallahian bereinigte Regierung vorstellen, mit der sich dann Klaus Kinkel wieder vertragen kann. Wie sagte gestern der Vorsitzende der Deutsch-Iranischen Handelskammer, Herbert Riedel: „In der Wirtschaft ist es eigentlich üblich, Moral und Politik und so weiter auseinanderzuhalten.“ Für der Wirtschaft verpflichtete Außenpolitiker gilt das ebenso. Kein Grund zur Sorge in den Chefetagen also. Thomas Dreger