Mal gucken, ob die Straßen sicher sind

Medienwirksam wird in Italien der Abmarsch der Streitmacht nach Albanien inszeniert. Doch die Soldaten, allesamt Freiwillige, wissen gar nicht, was sie in dem Balkanland eigentlich tun sollen  ■ Aus Brindisi Werner Raith

Der Blick zur noch offenen Ladeluke der „Pantelleria“ läßt in den Augen des Grenadiers Romolo eine Mischung aus „Na endlich“ und „Das kann doch nicht wahr sein“ aufflackern. „Mein Gott“, brummelt er, „diese Schlacht haben wir wohl schon gewonnen: Die werden sich nämlich totlachen.“ Derlei Humor befällt nicht nur den wackeren Grenadier. Was da soeben mit Pomp und unzähligen Kameras verabschiedet wird, erinnert an den Witz, den deutsche Soldaten im Weltkrieg über die Österreicher machten: Wenn deren Hilfe im Feld angefordert wurde, lautete die Gegenfrage immer: „Sollen wir einen Soldaten schicken oder gleich beide?“

Tatsächlich besteht die eingeschiffte erste „Welle“ der italienischen „Befriedungstruppen“ unter dem Einsatznamen „Alba“ (Morgengrauen) aus gerade mal zwanzig Mann mit zwei Panzerspähwagen sowie einem halben Dutzend Armeelastwagen. Bestrichen mit Tarnfarben, lugen die Kriegsgeräte aus dem Schiffsbauch hervor, während an Deck die Mitglieder der Truppe Hand ans Gepäck legen und nebenan das Minenräumboot „Rimini“ die Taue losmacht.

Grenadier Romolo soll mit dem nächsten Schiff nach Durazzo fahren. Er ist Zeitsoldat und hat sich freiwillig gemeldet, wie alle Mitglieder des Korps hier am Pier von Brindisi. „Aber das war schon vor vier Wochen“ sagt er, „weil ich damals noch zu wissen glaubte, was wir da sollen.“ Jetzt weiß er es nicht mehr so genau – „ideell schon, aber praktisch und operativ überhaupt nicht“.

Daß Italiens Soldaten dem heruntergekommenen Nachbarn „Wiederaufbauhilfe“ leisten sollen, haben Romolos Truppenchefs ihren Friedensbringern zwar eingebleut. „Das Problem ist, daß uns keiner sagen kann, was kaputtgegangen ist, damit wir's wiederaufbauen können.“ Außerdem sollen Italiener gerade dort nicht mithelfen dürfen, wo's angeblich am chaotischsten ist, im Süden Albaniens. „Was sollen wir wo machen?“ fragt Romolo verzweifelt.

Immerhin, den beiden eindrucksvollen Panzerwagen hat der hochkaratige Generalstab eine präzise Weisung gegeben: Sie sollen die Straße zwischen Durazzo und Tirana auf- und abfahren und schauen, ob diese sicher ist. „Ein höchst verantwortungsvolle Aufgabe“, spottet Romolos Kamerad Ferruccio. „Auf dieser Straße ist bisher noch überhaupt nichts passiert. Wenn was passiert, sind wir die ersten, die es erleben.“ Das Minenräumboot „Rimini“ soll, obwohl noch niemand eine Mine gesichtet hat, nachgucken, ob die Häfen in der Landungszone der internationalen Friedensstreitmacht auch sicher sind. Und, natürlich, ob sich da nicht wieder der Heimat überdrüssige Albaner bereitmachen, um ins gelobte Italien überzusetzen.

So richtig zum Zweifeln gebracht hat Romolo sein Vetter Amos. Der macht beim Roten Kreuz mit und ist schon seit drei Tagen „drüben“, ganz und gar ohne Schutz, und fühlt sich überhaupt nicht gefährdet. „Am besten wär's, ihr bliebt zu Hause“, hat er telefonisch mitgeteilt. „Die Leute sehen uns als so eine Art Weihnachtsmänner an, da können Gewehre und Panzer doch nur stören.“ Ungetrübt ist die Freude des Rotkreuzmannes dennoch nicht. Offenbar ist zwischen den verschiedenen Hilfsorganisationen eine Art Verdrängungswettbewerb ausgebrochen.

Gegen das Rote Kreuz drängelt sich der Malteserorden immer mehr nach vorne, läßt seine Einsatzleiter reihenweise Interviews geben und „tut auch sonst so, als sei er der einzige, der Hilfsgüter mitbringt“. Das Skurrile: So richtige Massenlieferungen hat derzeit noch niemand anzubieten. Die EU knausert, die zur „militärischen Absicherung“ der Güterverteilung anreisenden Soldaten bringen nur die eigene Verpflegung mit.

Auch sonst ist die Lage ziemlich unübersichtlich. Die Helfer und die Soldaten üben unentwegt das „Wir sind unabhängig von euch“- Spielchen. Wo immer in Brindisi einer mit dem Roten oder dem Maltäserkreuz am Ärmel auftaucht und sich ein Soldat in der Nähe zeigt, betonten die Helfer, daß „wir in unserer Autonomie nicht im gerinsten eingeschränkt sind“, ja, daß die Soldaten praktisch wie ständige Leibwächter neben ihnen herlaufen müssen.

Doch umgekehrt akzeptieren die Militärs eine bloße Gorillarolle auch wieder nicht. „Die Herren Helfer“, knurrt ein Feldwebel böse in ein Mikrophon, „die Herren Helfer werden sich wohl an die Orte halten müssen, die wir nach unseren Erkenntnissen absichern.“ Ferruccio sieht seine Befürchtungen bestätigt: „Die Soldaten sichern das Südviertel, aber die Rotkreuzleute wollen partout im Norden Samariter spielen.“ Da wird einiges zu koordinieren sein.

Und nicht nur zwischen Helfern und Schützern. Auch in der internationalen Friedenstruppe ist nicht alles eitel Sonnenschein. Die Franzosen, die schon vor dem vergangenen Wochenende eingelaufen waren und den Italienern die Bereitschaftsshow gestohlen haben, docken ihre Schiffe ostentativ am südlichen Teil des Hafens an und zeigen keinerlei Neigung, an Land zu gehen oder zu ausführlichen Lagebesprechungen anzurücken. Und dabei „sind wir doch so stolz, daß wir zum erstenmal seit Kriegsende eine so wichtige Mission leiten dürfen“, sagt Romolo, und man kann nicht erkennen, ob er das ernst meint oder ironisch.

Tatsächlich ist die „Mission“, so jedenfalls ein aus Rom angereister französischer Beamter, „nichts anderes als ein ausschließlich von den Italienern gelegtes Ei“. Als er die Mikrophone ausgeschaltet wähnt, setzt er leise hinzu: „Wir machen eigentlich nur mit, damit die nicht allzuviel Mist bauen.“

Derlei mögen allerdings auch Romolo und Ferruccio, trotz ihrer eigenen Skepsis, nicht hören. „Ganz so dämlich wie diese arroganten Transalpinen meinen, sind wir auch wieder nicht.“ Immerhin sind mehr als die Hälfte der Friedensbringer Veteranen aus dem Bosnieneinsatz, „und das heißt schon was“. Man kenne sich aus mit Hinterhalten und wisse, wie man mit den Leuten redet, und habe außerdem Erfahrungen, wie lange „unsereiner unter Streß gehalten werden kann, bevor er anfängt durchzudrehen“.

Allerdings: „In Bosnien gab's zwar auch viel Durcheinander, aber da war fast immer eine Art Front, auch wenn die quer durch kleine Dörfer ging. Doch in Albanien könnten wir auf einen ganz und gar unsichtbaren Gegner treffen“, barmt Romolo. „Keine Aufständischen oder unfreundliche Regierungstruppen, sondern einfach Gangster, die wir bei ihren Geschäften stören und die uns alle paar Stunden einen Lastwagen in die Luft jagen. Dann ist guter Rat teuer.“ Und es steht nur zur Debatte: „Abhauen, die Mission aufgeben und blamiert heimkehren – oder irgendwie um uns schießen – mit der Gefahr, daß dann wir Massaker anrichten und daß wir es sind, die Zustände wie in Bosnien schaffen.“

Laut getraut sich Romolo derlei freilich nicht zu sagen. Aber mit Ferruccio und einer Reihe anderer Kameraden spricht er häufig darüber. Eine Lösung ist freilich keinem eingefallen. „Wir müssen es halt durchziehen“, sagt er und macht dabei ein Gesicht wie Regierungschef Romano Prodi, der auch ganz unglücklich aussieht, wenn er davon spricht, daß „unsere Nation mit Stolz diesen Auftrag zum Wiederaufbau unseres Nachbarlandes angenommen hat“.

Plötzlich entsteht Unruhe. Draußen, hinter der Absperrung „Zona militare“ sind Polizisten zugange, sie haben mehrere Männer umringt. Ein Zivilagent will „albanische Zurufe“ gehört haben. Und das hat sofort Alarm ausgelöst. „Vielleicht schicken die dortigen Mafiosi ihre Attentäter schon mal hierher, damit wir gar nicht erst losfahren“, befürchtet Ferruccio.

Der Agent hat richtig gehört: Die Männer sprachen wirklich Albanisch. Aber es sind waschechte Italiener aus Spezzano, einer Stadt in Kalabrien, die vor vier Jahrhunderten von albanischen Flüchtlingen gegründet worden war. Ihre Einwohner pflegen die alte Sprache noch immer. Jetzt wollen sie sich nur die Einschiffung ansehen. Romolo findet schnell seinen Sarkasmus wieder. „Schließlich wollen wir Albanien befrieden. Albaner können wir dabei nicht brauchen.“ Er schnürt sein Gepäck und macht sich zum Einrücken ins Quartier bereit. Heute geht auch für ihn die Reise los: nach Albanien, nicht zu den Albanern.