Eis, Eis! O nein, o nein! Von Ralf Sotscheck

Sie war der Stolz von Belfast. Heute abend, kurz vor Mitternacht, ist es genau 85 Jahre her, daß sie in die Geschichte geschwommen ist. Zunächst schwamm sie freilich in einen Eisberg. Vier Stunden später war von der Titanic nichts mehr zu sehen. Nur 703 Menschen wurden gerettet, 1503 starben. Mit Hilfe von Ultraschall hat man vorige Woche herausgefunden, daß es keineswegs ein großes Loch war, das dem in Belfast gebauten Kahn zum Verhängnis wurde, sondern lediglich sechs handbreite Risse.

Wie dem auch sei – das Boot ist längst zur Legende geworden, Tausende von Mitgliedern in Titanic-Clubs rund um den Globus stricken eifrig daran. Und nun soll das Wrack auch noch gehoben werden. Die Ulster Titanic Society, die vorige Woche ein dreitägiges Titanic-Symposium veranstaltet hat, ist gegen die Bergung. „Das wäre Grabschändung“, sagt die Vorsitzende Una Reilly. „Der Plan, die Schiffskohle als Souvenirs zu verkaufen, ist genauso verwerflich, als wenn die Nasa die Wrackteile der Challenger-Raumfähre verscherbeln würde.“ Reilly hält ihren Verein für den einzig authentischen, weil er in Belfast residiert. „Schließlich war die Titanic hier länger als an irgendeinem anderen Ort“, sagt sie. Abgesehen vom Meeresboden.

War es vielleicht damals gar kein Unglück, sondern ein Versicherungsbetrug? Vieles spricht dafür. Der Besitzer der Titanic, John Pierpoint Morgan, und seine Freunde sagten ihre Teilnahme an der Jungfernfahrt in letzter Sekunde ab. Viele von der Besatzung blieben ebenfalls an Land, weil sie angeblich Angst vor dem Schiff hatten. Und der Kapitän Edward Smith war ein Bruchpilot ersten Ranges: Er hatte bereits so viele Schiffe versenkt, daß man ihm eigentlich nicht mal ein Gummiboot anvertrauen hätte dürfen, geschweige denn das größte Schiff der Welt. Er soll denn auch trotz der Warnungen mit Volldampf in den Eisberg gerast sein.

In Wirklichkeit hatte er jedoch gar keine Schuld: Der Kahn, so hat eine neue Untersuchung ergeben, ist verflucht. Das leuchtet ein, wenn man das geballte Pech betrachtet, das an jedem Projekt in Verbindung mit der Titanic zu kleben scheint. Die Bergung eines Teils des Wracks endete im vergangenen August kläglich, als die Drahtseile rissen. Acht Millionen Mark waren auf einen Schlag futsch. Der neue Film „Titanic“, der am 2. Juli in den USA anlaufen soll, ist jetzt schon bei den Kritikern durchgefallen, so daß dem Produzenten der finanzielle Untergang droht. Seinem Vorgänger war es nicht besser ergangen: Der Film „Hebt die Titanic“ war nicht nur grottenschlecht, sondern auch überaus teuer. Lew Grade, der Produzent, sagte damals, es wäre billiger gewesen, statt dessen den Ozean abzusenken.

Auch das Musical „Titanic“, das nächste Woche am Broadway anläuft, blieb nicht ungeschoren. Die Generalprobe mußte drei Mal wegen „technischer Schwierigkeiten“ abgesagt werden: Das Schiffsmodell war im Gegensatz zu seinem Vorbild tatsächlich unsinkbar. Produzent Michael Braun erlebte das nicht mehr. Er war nach der ersten Probe an einem Herzinfarkt gestorben. Das gleiche Schicksal droht den Käufern einer neuen CD mit Titanic-Liedern. Einer der Songs heißt: „Eis, Eis! O nein, o nein!“ Oh no.