Ralfis Reste Rampe

■ Honecker-Doubles, Stalin-Lookalikes, Pionierinnen in Hotpants: Nicht nur die DDR ist vergänglich, sondern zum Glück sind es auch die „Ostalgie“-Parties

Sieben Jahre nach der Systemwende sieht es in der Ausstellungshalle am Alexanderplatz, gleich unter dem gelassen blinkenden Fernsehturm, fast wieder aus wie früher: DDR-Fahnen mit Hammer und Sichel schmücken den Eingang, an dem sich dumpfes Volk drängt, um ein „Visum“ zur Einreise zu ergattern. Das „Visum“ berechtigt zum Eintritt zur „Ostalgie-Party“. Gäste in typischer DDR-Kluft erhalten Begrüßungsgeschenke und mit Glück auch freien Eintritt.

Ausgerechnet in Berlin, der alten und neuen Hauptstadt der Republik, hat sich kaum einer entblödet, dafür sein altes Blauhemd wieder anzuziehen. Überhaupt ist die Stimmung im Saal eher verhalten, dem klebrig-schalen Geschmack der angebotenen Vita-Cola nicht unähnlich, und die große Mehrheit der Besucher lungert erstaunlich teilnahmslos vor der Bühne, während zwei „Easty-Girls“ in aufgeknöpften Pionierblusen und lackfarbenen Hotpants mit einem Honecker-Double und einem Stalin- Doppelgänger zu dröhnendem Dance-Beat das FDJ-Fahnenlied anstimmen.

Einige ältere Semester stehen stolz in ihren Vopo- oder NVA- Uniformen in der Gegend herum und wirken in der jugendlichen Menge seltsam verloren, als hätten sie tatsächlich geglaubt, hier würde noch heute zur Konterrevolution geblasen.

Tatsächlich wird hier die DDR- Vergangenheit in ihren diversen Facetten musikalisch und ästhetisch verramscht. Was an sich eine grundsympathische Idee ist – warum soll schließlich der Genuß am schlechten Geschmack vor dem Sozialismus halt machen? Man kann in den populären Ostalgie-Feten durchaus die ostdeutsche Entsprechung zur Wiederkehr der Prilblumen und der Afri- Cola im Westen der Republik sehen, das Pendant zu den schmuddeligen Schulmädchenreport- und anderen Easy-Listening-Parties.

Ganz haut der Vergleich allerdings nicht hin, denn während bei den einen die ironische Distanz zum warenästhetischen Horror der eigenen Jugendzeit dominiert, überwiegt bei den Ostalgikern die milde Romantik. Logisch: Wer sich im FDJ-Ferienlager zum ersten Mal geküßt hat, dem geht noch heute beim Erklingen von Pionierliedern gleich das Feuerzeug auf.

Diese Schwäche hat der Thüringer Werbekaufmann Ralf Heckel, der in seinem früheren Leben einmal als staatlich geprüfter Schallplattenaufleger agitierte, am deutlichsten erkannt. Vor drei Jahren veranstaltete er zum ersten Mal im thüringischen Schwallingen ein „Pfingsttreffen der FDJ“, das die örtliche Dorfjugend in einen kollektiven Rauschzustand versetzte. Inzwischen hat er den Ostalgie- Zirkus über 50mal an wechselnden Orten aufgeführt, damit dem real existierenden Sozialismus wenigstens posthum zu so etwas wie Sex- Appeal und Glamour verholfen und nebenbei auch noch ein adäquates Marketingforum für Ostprodukte wie Club-Zigaretten, Spreewaldgurken und Dosenbier aus Zwickau geschaffen.

Doch allmählich hat sich die Masche wohl totgelaufen, denn am Alexanderplatz gerät das Unternehmen Ostalgie nur noch zu lautstark inszenierter DDR-Tristesse, bei dem allenfalls die engagierten Zigarettenpromoter Frohsinn simulieren – vorausgesetzt, die Kameras richten sich auf sie.

Ralf Heckel selbst, der als Einheizer am Mikrophon den naßforschen Elan eines Versicherungsvertreters an den Tag legt, hat jedenfalls alle Hände voll zu tun, seine Gäste wenigstens zur Polonaise zu animieren.

Weil die angedrohte Selbstkasteiung mit den DDR-üblichen 60 Prozent Ostsongs entfiel, wirkte die Veranstaltung letztlich wie eine x-beliebige Schlagerparty. Auch die selbstgesetzte Zielmarge von 4.000 BesucherInnen wurde deutlich unterschritten, was letztlich die beruhigende Gewißheit verschafft: Alles ist vergänglich – nicht nur die DDR, auch die kommerzielle Endlosverwertung ihrer Insignien. Daniel Bax