Mißtöne bei der Messeeröffnung

Kanzler Kohl und BDI-Chef Henkel nutzen die Hannover-Messe zur Propagierung der Steuerreform, des weiteren Lohn- und Sozialabbaus. Lob für das Partnerland Großbritannien  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Die Jubiläumsmesse selbst war es nicht, die Bundeskanzler Kohl gestern bei seinem Eröffnungsrundgang über die 50. Hannover- Messe die Laune verdarb. Immerhin konnte die Messe AG bei der größten Investitionsgüterschau der Welt mit der Rekordzahl von 7.250 Ausstellern aufwarten, wovon 3.414 aus dem Ausland kamen. Die Zahl paßte zu jener „positiven Wirtschaftsperspektive“, die Kohl schon am Sonntag bei der feierlichen Messeeröffnung beschworen hatte.

Es war der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, der für den Kohlschen Ärger vor der Pflichtübung Messerundgang sorgte. Dessen Staatskanzlei hatte die morgendliche Begrüßung des Bundeskanzlers in der Messe- Lounge als „Fototermin“ angekündigt, was Kohl gar nicht paßte. Auch später bei der Eröffnung des britischen Pavillons hielt sich der Kanzler lieber an den hannoverschen Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, ignorierte seinen möglichen Herausforderer geflissentlich und enttäuschte die Fotografen.

Helmut Kohl beschwor in seiner sonntäglichen Eröffnungsrede erneut das Ziel, „gemeinsam mit Wirtschaft und Gewerkschaften die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren“. Als Schlüsselprojekt für mehr Arbeitsplätze empfahl er erneut die Steuerreformpläne der Bonner Koalition. Einmal mehr lobte der Kanzler „Leistungswillen und Fleiß“ der Gründergeneration der Bundesrepublik. Dann ließ er es sich abweichend von seinem Redemanuskript nicht nehmen, „Frieden und Freitag“ statt „Frieden und Freiheit“ als „entscheidend für eine gute Zukunft der Wirtschaft“ zu bezeichnen.

Nichts im Sinn mit Frieden und freien Tagen hatte bei der Eröffnungsveranstaltung der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel. Die von dem SPD-Politiker Oskar Lafontaine empfohlene „Einigung der Nationen auf soziale Mindeststandards“ würde in den Augen von Henkel „die Marktwirtschaft völlig außer Kraft setzen“. Als eigentlich „skandalös“ bezeichnete Henkel die Forderung von IG-Metall-Chef Zwickel nach Einführung der 32-Stunden-Woche. Lobende Worte zuhauf hatte der BDI-Chef dagegen für den politischen Kurs des Messepartnerlandes Großbritannien übrig: Henkel empfahl, „auch mal britische Rezepte auf ihre Wirkungen zu untersuchen“, auch wenn dieser Vergleich bei einigen gegen die Political Correctness verstoße. Die britischen Erfahrungen faßte Henkel zu einem Grundrezept zusammen: „schlanker Staat“, „Privatisierung“, „Liberalisierung und weniger Bürokratie“, „Entlastung bei den hohen Sozialkosten“ und als „wichtigstes Vorhaben die Steuerreform“. Mit diesen Zutaten will er die Nettoumsatzrendite deutscher Unternehmen von unter 2 Prozent auf britische Höhen von fast 7 Prozent treiben.

Genüßlich wies der BDI-Chef am Sonntag und noch einmal bei seiner Pressekonferenz am Montag morgen darauf hin, daß inzwischen in Großbritannien kaum mehr Arbeitsstunden durch Streik ausfallen als in der Bundesrepublik. Die Staaten sollten sich wie die Unternehmen am jeweils besten Konkurrenten orientieren, redete der BDI-Chef möglichst niedrigen Steuern, Löhnen und Sozialabgaben das Wort.