Blumen auf schwierigem Grund

Strukturwandel im Revier: In Gelsenkirchen wird am Samstag die Bundesgartenschau auf einem ehemaligen Zechengelände eröffnet. Die Kritiker sind leise geworden  ■ Von Walter Jakobs

„Natur und Technik knallen hier aufeinander. Und gerade das finde ich toll.“ Gewiß, das Trommeln gehört für Irene Teidelt, die Pressesprecherin der Bundesgartenschau (BuGa) 1997, zum Geschäft. Aber wer mit ihr das 100 Hektar große Gebiet der BuGa 97 durchstreift, der spürt, daß die hochgewachsene gebürtige Duisburgerin keine einstudierte PR- Nummer abzieht. Sie ist von dem Projekt überzeugt.

Daß die Blumen- und Landschaftsschau ausgerechnet in der extrem geschundenen Industrielandschaft des nördlichen Ruhrgebiets stattfindet und eine zum Teil erheblich belastete Industriebrache erblühen läßt, findet Teidelt „aufregend, hoffnungsvoll und spannend zugleich“. Eine vom Industriezeitalter geprägte Landschaft „die ist nun mal nicht lieblich und sollte auch nicht so dargestellt werden“.

In drei Bereiche gliedert sich das BuGa-Gelände, das später einmal in dem quer durch das Revier verlaufenden Park der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) aufgehen soll: Halden und die denkmalgeschützten Gebäude der 1993 geschlossenen Zeche Nordstern prägen das nördliche Areal, das nach der BuGa als Wohn- und Gewerbepark vorgesehen ist. Die frühere Lohnhalle wurde behutsam zu einem modernen Bürotrakt umgebaut, in dem vorerst die BuGa-Verwaltung residiert. Daran schließt sich ein Gebäude an, das für die Blumenschauen reserviert ist.

„Wir stehen hier mitten in der Waschkaue der Zeche Nordstern“, sagt Ernst-Peter Bechtloff, der sich in diesem Gemäuer 36 Jahre lang den Kohlestaub vom Körper schrubbte. 1993 kam der Deckel auf den Pütt, seither ist der 53jährige Frührentner: „Ich bin finanziell abgesichert und kann ohne diese schwere Arbeit ganz gut leben, aber wo sollen die jungen Leute hin“, fragt der ehemalige Hauer. Früher fuhren bis zu 4.500 Kumpel auf Nordstern ein. Jetzt hofft Bechtloff, daß der spätere Gewerbepark auch tatsächlich neue Jobs bringt.

Für die BuGa hat er sich eine Dauerkarte gekauft, „jeder zweite in meinem Bekanntenkreis besitzt eine“. Bis zum 5. Oktober soll es über dreitausend Veranstaltungen geben, 27 Stunden Sendezeit hat allein das WDR-Fernsehen eingeplant. Bechtloff will möglichst oft dabeisein, aber er weiß auch, daß viele Anwohner sich auf die Zeit danach freuen: „Die Leute warten darauf, daß der Zaun wegkommt und sie das Gelände in Beschlag nehmen können.“ Weite Teile davon waren über hundert Jahre lang nicht mehr zugänglich.

Bevor die Zäune fallen, hoffen die Veranstalter auf viele zahlende Gäste. Wenn 1,1 Millionen Besucher kommen, geht das Finanzierungskonzept der von der Stadt Gelsenkirchen und dem Zentralverband des Gartenbaus getragenen BuGa-Gesellschaft auf. Angesichts von mehr als zwei Millionen Besuchern bei früheren Bundesgartenschauen eine betont vorsichtige Kalkulation. Zehntausend Dauerkarten sind verkauft, und das bereits angelaufene Geschäft mit den Reiseveranstaltern läßt Geschäftsführer Rolf Paulin hoffen. Ein einzelner Busunternehmer habe zwanzigtausend Tageskarten geordert, freut sich Paulin, und die Bahn werde allein aus dem Bremer Raum 17 Sonderzüge nach Gelsenkirchen rollen lassen. Auch als Kombiangebot wird die BuGa vermarktet, mit Abstechern zu den Kathedralen der Montangeschichte im Revier: etwa zur Zeche Zollverein in Essen, einem herausragenden Technik- und Architekturdenkmal im Bauhausstil, oder zum stillgelegten Thyssen-Hochofenwerk in Duisburg-Meiderich. Irene Teidelt, selbst ein bekennendes Gewächs des Reviers, glaubt, die BuGa könne überall im Lande vom „Wandel im Revier“ künden.

Der Weg über das Gelände führt durch das „Rhododendron- Tal“, vorbei an Rosenkaskaden und diversen „Gärten der Stadt“, bevor man auf die in der Mitte des Areals gelegene Insel stößt, die von Emscher und Rhein-Herne- Kanal begrenzt wird. Daran schließt sich der eigentliche Landschaftspark an, in dem die vorindustrielle Naturlandschaft weitgehend belassen wurde.

Wer die Emscher auf einer der fünf neuen Brücken überquert, die mit roten Bögen das zerteilte Gelände verbinden, dem steigt ein Geruch in die Nase, der den Menschen in der Region seit langem vertraut ist. Trotz 62.000 Stauden, 20.000 gepflanzter Rosen, 132.000 Blumenzwiebeln und Tausenden von Mauerblümchen: hier riecht es nach Emscher! Mit einem Fluß hat die während der Industrialisierungsphase in ein Betonbett gezwängte Kloake schon lange nichts mehr gemein. Ganz so schlimm wie früher stinkt es zwar nicht mehr, aber von der im Rahmen der IBA versprochenen Renaturierung spürt man noch nichts.

Mit einem neuen Kleid versehen ist dagegen die Oberfläche der Insel. Nur die Kohlemischanlage samt Bandbrücke und Kohlebunker erinnert an jene Zeiten, als die Kohle über den Kanal verschifft wurde. Von der ehemaligen Kokerei finden sich oberirdisch keine Spuren. Etwas tiefer im Boden wird man dagegen schnell fündig, denn die alten Kokereien gehörten zu den schlimmsten Dreckschleudern der Montanindustrie. Meterdick hat man auf den bis tief ins Erdreich verseuchten Boden jungfräulichen Ersatz aufgetragen. Burkhard Wüllscheid, der für die Gelsenkirchener Grünen im Beirat der BuGa sitzt, fürchtet, daß unter all den hübschen Blumen „eine ökologische Zeitbombe ticken könnte, weil die langfristigen Auswirkungen der Bodenverseuchung auf das Grundwasser nicht geklärt sind“.

Die BuGa selbst will in einem eigenen Pavillon das Sanierungsproblem dem Publikum nahebringen. Er werde „nichts verschwiegen und verdrängt“, verspricht Geschäftsführer Paulin. „Nach menschlichem Ermessen“ könne zwar „nichts mehr passieren“, aber falls die Grundwassersicherung eine zusätzliche Sanierung erfordere, seien die früheren Eigentümer – Ruhrkohle und Veba – vertraglich „unbefristet verpflichtet“, die Kosten zu tragen. Zur Zeit sei das an fünfzig Meßpunkten kontrollierte Grundwasser in Ordnung. Bis zur BuGa hatten sich die Alteigentümer um die Grundwassergefährdung nie sonderlich geschert. Jetzt, immerhin, sei sichergestellt, so Paulin, daß das Regenwasser nicht mehr in den belasteten Boden gelange, sondern direkt in die Emscher fließe.

Eine Freilichtbühne für 4.500 Besucher zählt zu den neuen Attraktionen dieser hochbelasteten Insel. Wenn am Samstag die ARD das Eröffnungsspektakel live der Nation präsentiert, um die Botschaft vom erfolgreichen Strukturwandel ins Land zu posaunen, dann wird einer in Gelsenkirchen nicht in den Jubelchor einstimmen: Michael Schönberg.

Der evangelische Pfarrer, dessen Gemeinde im angrenzenden Gelsenkirchener Stadtteil Heßler liegt, hält die Lobeshymnen für fatal: „Man streut den Leuten Stiefmütterchen in die Augen. Die Arbeitslosigkeit und der dringend nötige Strukturwandel können durch diesen Etikettenschwindel doch nicht ernsthaft bekämpft werden.“ Während es überall in Gelsenkirchen an Geld mangele und Jugend- und Sozialeinrichtungen geschlossen würden, seien auf dem BuGa- Gelände Millionen „verpulvert“ worden, „obwohl es Büro- und Gewerbeflächen im Revier im Überfluß“ gebe.

Die BuGa selbst kalkuliert mit einem Bruttoetat von 71 Millionen Mark. Neben den erwarteten Einnahmen von etwa 31 Millionen lebt die Schau hauptsächlich von den Zuschüssen des Landes und der Stadt. Auch für die Erschließung des künftigen Gewerbe-, Wohn- und Landschaftsparks griff der Staat tief in die Tasche. 170 Millionen Mark machten dafür vor allem das Land, die EG und die Stadt locker. Die große Hoffnung, diese Investitionen könnten mit Hilfe der „Blümchenschau“ neue Investoren in die Region locken, hält Schönberg für einen „Irrglauben“. Den in Gelsenkirchen mit absoluter Mehrheit regierenden SPD-Politikern wirft er vor, im Zusammenhang mit der BuGa „fast messianische Hoffnungen“ zu wecken. Mit Menschen „so unehrlich umzugehen“ sei „politisch verhängnisvoll“. Er wolle „keinen Kreuzzug“ gegen die BuGa führen, sagt der Pfarrer, aber er könne nicht schweigen, wenn „die Verantwortung für den jahrzehntelangen schändlichen Umgang mit der Natur unter den Rasenteppich gekehrt“ werde.

Mit seinem Presbyterium ist sich der Pfarrer einig, die evangelische Beteiligung an der BuGa zu „boykottieren“. Die „Fahne der Kirche weht doch auch nicht auf der Auto- oder Sexmesse. Wieso dann auf dieser gewerblichen Blümchen-Show?“ Daß die Kirche in einem eigenen Zelt den BuGa- Besuchern ermöglichen will, ihre „Seele baumeln zu lassen“, hält Schönberg für skandalös. Damit mache sich die Kirche zur „Handlangerin profitorientierter Interessen“.

Außerhalb der evangelischen Kirchengemeinde in Heßler sind solche scharfen Töne inzwischen weitgehend verstummt. Die örtlichen Grünen und die Umweltverbände klingen weit moderater. „Wir halten unsere Grundsatzkritik an der BuGa zwar aufrecht“, sagt Burkhard Wüllscheid, „aber wir bekämpfen sie nicht mehr.“ Auch Axel Marx vom BUND bescheinigt den BuGa-Machern „gewisse Lernprozesse“. Während der Landesverband des BUND noch 1993 den Stopp der „Naturzerstörung im Namen der Natur“ durch die BuGa gefordert hatte, fällt das Urteil von Marx heute wesentlich positiver aus. Vor allem die Befürchtungen hinsichtlich der südlich des Rhein-Herne- Kanals gelegenen Brache, die sich zu einem Lebensraum für manche bedrohte Tier- und Pflanzenarten entwickelt hatte, seien nicht eingetreten. Der Kernbereich des Geländes sei weitgehend für den Naturschutz gesichert worden, glaubt Marx: „Da können wir uns nicht beschweren.“

Ob am Ende auch Pfarrer Schönberg zu einer versöhnlicheren Bilanz des Projekts gelangt, hängt wohl wesentlich davon ab, was nach der BuGa kommt. Daß er den grünen Versprechungen der örtlichen Sozis so wenig traut, kommt nicht von ungefähr. Jahrelang hat er in einer Bürgerinitiative gegen die Stadtspitze gekämpft. Erst wollten sie auf dem heutigen BuGa-Gelände eine Müllverbrennungsanlage bauen, und dann waren sie ganz begeistert von den Kraftwerksplänen der Veba-Kraftwerke AG, die ein Steinkohlegroßkraftwerk zu realisieren suchte und davon faselte, daß der Umweltstinker eine „harmonische Verbindung mit der BuGa“ eingehen werde. Angesichts des öffentlichen Gegendrucks legte die Veba das Projekt zwar auf Eis, doch im Landesentwicklungsplan lebt die Idee fort.

BuGa-Chef Paulin ist sich indes sicher, das daraus nichts mehr wird und das BuGa-Gelände allen Anwohnern zur Naherholung offensteht. Dann dürfte es auch auf dem Friedhof von Pfarrer Schönberg wieder ruhiger werden, denn mangels Grünflächen dient das Gelände den Spaziergängern heute als die zentrale „grüne Lunge“ im Stadtteil.