In Sofia folgen den Worten jetzt Taten

Stefan Sofianksi, Chef von Bulgariens Übergangsregierung, gehört zu den populärsten Politikern – obwohl er der Bevölkerung eine wirtschaftliche Schocktherapie verordnet hat  ■ Aus Sofia Barbara Oertel

Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können: Gestern, und damit fünf Tage vor den vorgezogenen Parlamentswahlen, erhielt Bulgarien vom Internationalen Währungsfonds (IWF) 180 Millionen Dollar Finanzhilfe. Davon sollen 150 Millionen Dollar für Sofortmaßnahmen zur Milderung der Wirtschaftskrise, wie zum Beispiel dem Kauf von Weizen, verwendet werden. Die restlichen 30 Millionen Dollar sind die erste Tranche eines Stand-by-Kredits, mit dem die Wirtschaft stabilisiert werden soll. Das Abkommen über Zahlungen in Höhe von insgesamt 657 Millionen Dollar war am Freitag unterzeichnet worden.

Mit der dringend benötigten Finanzspritze dürfte die demokratische Übergangsregierung unter Premierminister Stefan Sofianski bei den Wählern weitere Pluspunkte machen. Neben Staatspräsident Petar Stojanow gehört Sofianski derzeit zu den populärsten Politikern Bulgariens. Und das, obwohl er seinen Landsleuten in den vergangenen Wochen erhebliche Opfer abverlangen mußte.

Knapp zwei Monate ist es her, da übernahm der Bürgermeister von Sofia nach wochenlangen Demonstrationen und einem letzten Aufbäumen der bis dato regierenden Sozialisten (BSP) die Amtsgeschäfte. Die Hinterlassenschaft der „Roten“ kam einer Katastrophe gleich: ein Land am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs mit einer Inflation von 300 Prozent. Ende Januar war sogar das Brot Mangelware geworden. Sofianski und seine Mannschaft taten in dieser Situation das wohl einzig Richtige: In bisher unbekannter Offenheit klärten sie die Bevölkerung über die Lage und die erforderlichen Maßnahmen auf: eine Schocktherapie, die für die Menschen mit weiteren sozialen Einschnitten und allenfalls der Hoffnung auf eine mittelfristige Verbesserung ihrer Lage verbunden sein würde. Gleichzeitig, und auch das war in dem Balkanland lange nicht mehr dagewesen, folgten den Worten auch Taten.

Staatschef Stojanow besorgte bei einer Blitzvisite in Polen 200.000 Tonnen Weizen. Bei Bulgariens größter Raffinerie Neftochim, durch niedrige Ölpreise und den Sprung der Wechselkurse kurz vor dem Bankrott, legte die Regierung Hand an: Ölexporte wurden verboten, die Leitung gefeuert. Auch bei anderen staatlichen Unternehmen sowie bei für die Privatisierung zuständigen Institutionen wurden führende Mitarbeiter mit sozialistischem Parteibuch entlassen. Kritik, vor allem von seiten der BSP, dieses Vorgehen erinnere an politische Säuberungen, konterte Sofianski unlängst mit der Bemerkung: „Wenn wir neue wirtschaftliche Beziehungen, ja eine neue Ökonomie überhaupt wollen, müssen wir uns in vielen Bereichen auf neue Manager stützen.“

Welchen Preis die Reformen konkret haben sollten, erfuhren die Bulgaren im März bei deren Liberalisierung. Die Kosten für Energie und Telefon stiegen um das Drei- bis Sechsfache, Benzin, das wieder zu haben ist, wurde um 250 Prozent teurer. Die Preissteigerungen seien zwar eine große Belastung, räumte Sofianski ein, betonte aber, daß es seiner Regierung gelungen sei, das Problem der Inflation in den Griff zu bekommen. Habe die Inflation noch im Februar bei 240 Prozent gelegen, werde sie im März im Vergleich zum Vormonat vorraussichtlich nur noch zehn Prozent betragen.

Für Rumi Gargova, eine Ingenieurin aus Sofia, ist dies auch eines der positivsten Ergebnisse der sogenannten Amtsregierung unter Sofianski. Die 45jährige liegt mit jetzt rund 100.000 Lewa Gehalt – derzeit sind das umgerechnet rund 120 Mark – weit über dem Durchschnittslohn von nunmehr 60.000 Lewa. Wie die meisten ihrer Landsleute hatte sie noch Anfang des Jahres ihren Lohn sofort ausgegeben. „Jetzt sei die Entwicklung doch zumindest einige Wochen im voraus kalkulierbar“, meint Gargova. Da die Preise für Grundnahrungsmittel nicht so stark gestiegen seien, könne sie ihren Kindern auch mal Obst kaufen. „Die haben in den Wintermonaten außer Bohnen und Kartoffeln nichts bekommen. Jetzt aber geht es uns besser“, sagt sie.

Was die meisten der rund 2,2 Millionen Rentner kaum sagen können. Zwar wurden ihnen, zusätzlich zur Grundrente von 4.000 bis 8.000 Lewa, im vergangenen Monat 20.000 Lewa ausgezahlt. Doch bei Preisen von 4.400 Lewa für ein Kilo Schnittkäse und 2.900 Lewa für die gleiche Menge Wurst kommen sie gerade so über die Runden, sitzen dann aber oft in ungeheizten Wohnungen.

Nicht zuletzt deshalb hat die Regierung bereits angekündigt, den Schwächsten mit einem Sozialprogramm unter die Arme zu greifen. Vor allem Hilfen der EU, die mit 285 Millionen Dollar in Bulgarien einspringen will, sollen für diesen Zweck verwendet werden.

Doch nicht nur die Alten werden in den nächsten Monaten Unterstützung brauchen. Zwar steht jetzt auch ein Vertrag mit der Weltbank über Hilfen in Höhe von 250 Millionen Dollar an. 40 Millionen werden bei Einführung des Währungsrates, die für Juni geplant ist, gezahlt. Die restliche Summe soll Bulgarien Ende dieses Jahres erhalten. Doch die Vorgaben des IWF, wie strikte Finanzdiziplin und eine Reduzierung des Haushaltsdefizits von 10,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes von 1996 auf 3,8 Prozent in diesem Jahr, machen weitere einschneidende Maßnahmen erforderlich. Dazu gehört nicht zuletzt die Schließung unrentabler Staatsbetriebe. Nach Schätzungen werden allein im staatlichen Sektor und in der verarbeitenden Industrie bis zum Jahresende rund 160.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Dem Budgetdefizit will der Staat aber noch auch auf andere Weise beikommen: Säumige Steuerzahler sollen zur Kasse gebeten werden. Auch hier hat Sofianskis Regierung den Anfang mit der Aktion „Moskito“ bereits gemacht. Gemäß dem Motto, daß, wer teure Autos fährt, viel Geld verdienen muß, dafür dann aber auch entsprechend Einkommensteuer bezahlen sollte, filzten Polizeibeamte unlängst mehrere tausend Fahrer von Nobelkarossen. Einige Übeltäter wurden dingfest gemacht, was bei der Bevölkerung allerdings eher Gelächter hervorrief. Doch ein neuer Coup ist schon in Vorbereitung: Als nächstes sollen Immobilien von Privatpersonen unter die Lupe genommen werden.

Zum Beispiel der ehemalige Minister für Wirtschaftsentwicklung, Rumen Geschew. Der hatte für 1995 ein offizielles Einkommen von 650.000 Lewa angegeben und sich kurz darauf ein Ferienhaus im Wert von zwei Millionen Lewa zugelegt. Jetzt hat er einen Termin bei der zuständigen Behörde.