Der Fall Barschel forderte ein neues Opfer

■ Generalstaatsanwalt Ostendorf trat nach Streit über Ermittlungen zurück

Kiel (taz) – Fast zehn Jahre nach dem Tod des früheren schleswig- holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel stolpern Politiker und Juristen immer noch über die „Affäre“. Jüngstes „Barschel- Opfer“ ist der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Heribert Ostendorf.

Der oberste Ankläger im Norden trat am Montag wegen eines Streits um die Ermittlungen im Fall Barschel zurück. Der 51jährige Jurist holte bei seinem Abgang mit der großen Keule aus. Seiner obersten Dienstaufsicht, dem Justizminister Gerd Walter (SPD), warf er massive politische Einmischung vor. „Mit meinem Rücktritt will ich ein Zeichen setzen für die Respektierung staatsanwaltschaftlicher Funktionen im demokratischen Rechtsstaat“, sagte er. Sein Fazit nach über acht Jahren als oberster Ankläger und politischer Beamter: Es gibt in der schleswig-holsteinischen Politik ein „Barschel- Trauma“.

Seit Ende 1994 ermittelt der Leitende Lübecker Oberstaatsanwalt Heinrich Wille in Sachen Barschel wegen Mordverdacht. Den abstrusesten Mordtheorien geht der Lübecker Chefermittler nach, das reicht von der Mafia bis zur Iran-Contra-Affäre. Ein mögliches Motiv oder gar ein Täter sind allerdings bisher nicht in Sicht. Vergeblich waren die Versuche Ostendorfs, Wille zu bremsen. Immer wenn der Generalstaatsanwalt seinen Ermittler ermahnte, tauchten wenige Tage später neue, meist aufgewärmte Spuren in den Medien auf, denen unbedingt nachgegangen werden mußte.

Im Januar wollte Ostendorf den Ermittlungen endlich ein Ende setzen. Da dies nicht mit Wille ging, wollte er den Lübeckern die Ermittlungen entziehen. Doch der „General“ unterschätzte die politische Brisanz. Justizminister Walter stoppte nach einem Aufschrei der Parteien Ostendorf. Das Problem wurde vertagt, Berichte angefordert. Anfang April lagen sie vor, geändert hatte sich nichts. Ostendorf plädierte für eine „alsbalde Einstellung des Verfahrens“, Wille listete seine Spuren auf, Stoff für jahrelange Ermittlungen. Es galt einen Weg zu finden, damit alle ihr Gesicht wahren können.

Nach zwei Tagen Dauergesprächen schien der Kompromiß gefunden. Wille darf mindestens bis zum Sommer weiter ermitteln, bekommt aber als Aufpasser einen Oberstaatsanwalt aus dem Ministerium an die Seite gestellt. Damit erklärte sich Ostendorf ebenso wie Wille einverstanden. Ende vergangener Woche präsentierte Justizminister Gerd Walter dann das Ergebnis. Und die Präsentation ärgerte Ostendorf, er fühlte sich von Walter getäuscht. Als Verlierer stand nämlich er selbst da und nicht Wille. Ostendorf kritisierte unter anderem, daß Walter den Eindruck vermittelt habe, daß weitere Ermittlungen notwendig seien, ohne daß diese eingegrenzt und ohne daß eine verbindliche Frist gesetzt worden sei. „Ich führe kein Ermittlungsverfahren, um einen parteipolitischen Konsens im Barschel-Verfahren zu erreichen“, schimpfte Ostendorf und bat um seine Entlassung.

Überrascht und fassungslos war man am Montag im Justizministerium. Unverständlich war für Minister Walter Ostendorfs Schritt. Die Vorwürfe der politischen Einflußnahme wies er scharf zurück, verteidigte den Kompromiß als rechtlich geboten, ließ es sich aber auch nicht nehmen, Ostendorf noch einmal hinterherzutreten: „Im Zweifelsfall sind die notwendigen Sachentscheidungen wichtiger als handelnde Personen.“ Respekt hingegen zollte Ostendorf für seine mutigen Worte selbst der konservative Richterverband. „Der General hat einen bemerkenswert guten Abgang hingelegt“, so die fast einhellige Meinung von Richtern und Staatsanwälten. Simone Sigmund