Vorbilder: Helmut Kohl und Ernst Thälmann

■ Wofür kämpft die Jugend: Streitgespräch zwischen der Antifa-Aktivistin Ramona R. und dem Landeschef der Schüler-Union, Christoph Mathiak: "Ich glaube, daß wir bei fast allen Themen auf verschieden

taz: Warum seid ihr politisch?

Ramona: Ich komme aus dem Osten und bin antifaschistisch erzogen worden. Bereits in der Schule habe ich viel recherchiert, beispielsweise über Widerstandskämpfer der Roten Kapelle. Die Leute damals hatten den Mut, sich für etwas einzusetzen. Auslöser, mich zu politisieren, war eine Demo 1991, bei der Polizisten auf Demonstranten eingeprügelt haben. Ich stand am Rand und habe auch einen Gummiknüppel abgekriegt. Ich habe die Situation überhaupt nicht verstanden, denn die Leute haben „keine Gewalt!“ gerufen. Ich war damals vierzehn.

Christoph: Anfänglich bin ich 1994 bei der Jungen Union eingetreten, weil mich die Stärke der PDS gestört hat. Inzwischen ist mir wichtig, daß ich Ideen in der eigenen Partei durchsetzen will. Und natürlich will ich dafür sorgen, daß meine Partei die Mehrheit behält.

Hast du die PDS als bedrohlich empfunden?

Christoph: Nicht in der Form, daß ich gedacht habe, die PDS übernimmt Deutschland, oder meine Freiheiten werden eingeschränkt. Aber ich wollte einfach nicht, daß Menschen, deren Auffassung ich nicht teilen kann, meine Zukunft gestalten.

Ramona: Politik wird in Berlin doch von der CDU gemacht.

Christoph: Gerade in den Ostbezirken ist die PDS, selbst wenn sie nicht den Bürgermeister stellt, sehr hinderlich, weil sie die Entwicklung der Bezirke boykottiert. Ich habe das Gefühl, daß die PDS nicht aktiv mitarbeiten will, sondern hauptsächlich zerstörerisch tätig wird.

Was wollt ihr erreichen?

Ramona: Im Prinzip wollen wir das antifaschistische Erbe weitertragen, weil in der Schule mittlerweile ganz anderes gelehrt wird. Es wird total revisioniert und oberflächlich erklärt. Zum Teil gibt es eine richtige Umschreibung der Geschichte. Mein anderes Ziel ist, ein bißchen intensiver zu leben. Wir wollen mehr Jugendkultur. Die Sprüher werden kriminalisiert, die Jugenklubs werden zugemacht. Es gibt kaum noch Freiräume, die werden für den Hauptstadtbau immer weiter kaputtgemacht und zerstört. Wir wenden uns auch gegen den Sozialabbau.

Christoph: Ich habe keine feste Linie. Wir engagieren uns in einzelnen Punkten. Bei den Ausbildungsplätzen versuchen wir, daß sich die Lage entspannt. Wenn man auch nicht all seine Ideen durchsetzen kann, so können wir in der eigenen Partei Vorstellungen anbringen, wie man das aus der Sicht der jungen Leute sieht. Dann versuchen wir, an Schulen unsere Werte zu vermitteln.

Was sind das für Werte?

Christoph: Es ist mir wichtig, daß man die Verfassung respektiert und ein christliches Menschenbild hat. Eine positive Einstellung zu Nation ist mir sehr wichtig – losgelöst von diesen Extremen, daß man entweder in nationalen Überschwang verfällt oder die Nation vollkommen verteufelt.

Habt ihr Vorbilder?

Christoph: Mich hat am meisten Helmut Kohl beeindruckt: wie er für eine Wende eingetreten ist und die Ruhe, mit der er Politik betreibt. Die Wiedervereinigung war für mich der stärkste Eindruck, als Kohl schnell zugepackt hat.

Ramona: Mein Vorbild war, bis ich 15 war, Ernst Thälmann. Heute habe ich keine Vorbilder mehr.

Kannst du verstehen, daß man Antifaschisten zum Vorbild hat?

Christoph: Ich kann nachvollziehen, daß man das gedankliche Erbe von Leuten, die man als Vorbilder hat, weitervererben möchte. Ich weiß aber nicht, wo der Antifaschismus in unserer Gesellschaft seine Berechtigung hat.

Ramona: Antifaschismus hat durchaus Berechtigung, wenn du siehst, was hier alles passiert und wie die Nazis marschieren, beispielsweise gegen die Wehrmachtsausstellung in München. Das müßte die CDU-Jugend erschrecken, weil die CDU/CSU dort Stimmung gemacht hat. Das es soweit gekommen ist, das ist eure Schuld.

Christoph: Ich würde nicht sagen, daß das unsere Schuld ist. Es tut mir aber leid, daß das eine Aktion der Jungen Union Bayern war und sich solche Leute da rangehängt haben. Ich fand es bedauerlich, was da passiert ist. Ich fand es allerdings genauso bedauerlich, daß in Berlin demonstrierende Neonazis von gewaltbereiten Linken dann in die U-Bahn getrieben und angegriffen wurden. Persönlich aber habe ich den Aufmarsch der Neonazis in München nicht als Bedrohung empfunden, weil ich immer noch das Gefühl habe, daß unser Staat relativ abgesichert ist.

Ramona: Was ich bedrohlich finde, sind die Verstrickungen von Regierung und Wirtschaft in diese rechten Kreise hinein. Dort wird hinter dem Rücken der Öffentlichkeit gekungelt. Im Prinzip können die Leute zwar wählen gehen, aber entscheiden kann man nichts mehr.

Christoph: Das ist nur insoweit richtig, als die Wähler wählen und dann wenig direkten Einfluß auf die Politik haben. Aber das liegt auch daran, daß nur wenige in Parteien organisiert sind und damit natürlich schon eine Vorauswahl für die Kandidaten getroffen wird. Das ist für mich kein Argument gegen die Partei, sondern es müßten sich einfach mehr Menschen dort organisieren. Für mich ist es interessant, innerhalb der CDU Leute aus allen möglichen Organisationen zu treffen und festzustellen, wie unterschiedlich es doch in der Volkspartei ist.

Ramona: Ich stehe nicht auf Parteien. Die Vertreter der Parteien und der Regierung haben nichts mehr mit der arbeitenden Bevölkerung zu tun, sondern haben alle Geld ohne Ende. Die können es sich leisten, die Sozialausgaben zu kürzen, sie stört das einfach nicht. Das ist eine Kritik an der CDU und SPD, aber auch in der PDS geht es teilweise schief. Ich gehe an die Basis, weil ich denke, daß nur von unten eine Veränderung kommen kann. Wir haben auch Siege errungen, etwa daß unsere Schule nicht in eine Berufsschule umgewandelt wird. Wenn man sich zusammentut mit ein paar Leuten, dann geht doch ganz schön viel. In Parteien muß man zuviel kuschen.

Christoph: Das Gefühl hatte ich nie, daß man bei eigenen Meinungen zurückstecken muß innerhalb der Partei. Natürlich ist es so, daß die eigene Position dem einen besser, dem anderen weniger gut gefällt. Aber das ist Demokratie, daß man gucken muß, ob man eine Mehrheit kriegen kann für seine Meinung.

Würdest du die Verfassung verteidigen?

Ramona: Menschenrechte sind zu verteidigen, aber die deutsche Verfassung an sich erst mal nicht. Das ist alles schön, was da drinsteht, aber wenn man den falschen Artikel in die Zeitung setzt, wird die Zeitung doch kriminalisiert, oder wenn du keinen Paß hast, wirst du trotzdem ausgewiesen.

Könntest du dir vorstellen, bei bestimmten Themen gemeinsam Politik zu machen?

Ramona: Ich glaube, daß wir bei fast allen Themen auf verschiedenen Seiten stehen. Bei Ausbildungsplätzen könnten wir es vielleicht schaffen. Allerdings sollten Auszubildende genauso viel bekommen wie Sozialhilfebezieher. Wir müssen der Arbeitslosigkeit dadurch begegnen, daß wir die Arbeitszeit auf 20 bis 25 Wochenstunden verkürzen. Dann können mehr Leute arbeiten.

Christoph: Dann werden wir wohl weder bei Arbeitsplätzen noch bei Ausbildungsplätzen einen gemeinsamen Nenner finden. Wenn man sich ansieht, wie wenig der Auszubildende noch im Unternehmen beschäftigt ist und wieviel er das Unternehmen kostet, glaube ich nicht, daß man mit einem höheren Lohn mehr Ausbildungsplätze schaffen kann, sondern es wird genau den gegenteiligen Effekt haben. Ich glaube eher, daß man versuchen könnte, einen Tag in der Berufsschule zu streichen, und die Azubis dafür im Betrieb belassen. Außerdem sollte man den Unternehmen ihre Verantwortung bewußtmachen, daß sie Ausbildungsplätze schaffen müssen.

Aber es passiert nicht viel.

Christoph: Das ist richtig. Ich finde es traurig, daß die großen Organisationen mit solchen Ausbildungsplatzinitiativen, die es auch von der CDU gibt, sehr spät kommen. Erst wenn absehbar ist, wie viele Auszubildende keinen Ausbildungsplatz finden werden, kommt in einem Hauruckverfahren so eine Initiative zustande. Daß die keinen Erfolg mehr haben wird, ist abzusehen.

Glaubst du, daß sozial Schwache zuviel bekommen?

Christoph: Nein, aber man muß gewährleisten, daß es noch eine Grenze zwischen niedrigstem Einkommen und der Sozialhilfe gibt. Man darf keinen Anreiz bieten, den Sozialstaat auszunutzen. Ich kann nicht verstehen, warum Leute aus Polen kommen müssen, um bei uns für zwölf Mark Stundenlohn die Ernte einzufahren.

Ramona: Wenn du Sozialhilfeempfänger bist, wirst du nach einiger Zeit verpflichtet, Jobs für drei Mark in der Stunde anzunehmen.

Christoph: Das ist auch vollkommen richtig. Man kann nicht erwarten, daß die Gesellschaft mich finanziert und ich sage, ich habe keine Lust zu arbeiten.

Ramona: Sie könnten den Leuten auch einen vernünftigen Lohn geben, auch wenn sie Briefe eintüten. Kein Sozialhilfeempfänger weigert sich zu arbeiten, die Leute weigern sich lediglich, für drei Mark zu arbeiten. Das ist Ausbeutung.

Christoph: Ich weiß nicht, wo da die Ausbeutung liegen soll.

Kommt ihr euch angesichts der Politikverdrossenheit eurer Generation nicht wie Fossilien vor?

Ramona: Ich sehe auch, daß es ein totales Desinteresse gibt, aber ich denke, daß das zum großen Teil auch durch Techno bedingt ist, wo es egal ist, ob man rechts oder links ist. Guck dir die Leute auf der Love Parade an, da sind nur Durchgeknallte. Aber ich fühle mich nicht so, als ob ich völlig allein wäre.

Christoph: Natürlich ist es schwierig als Jugendlicher in der Politik. Man muß sich oft an dem beteiligen, was man abwertend als Ochsentour bezeichnet, an Ständen stehen etc. Das stört mich nicht, und ich fühle mich nicht unterdrückt. Viele Jugendliche wollen, daß sie in die Partei kommen und sofort ihre Ideen umgesetzt werden. Das kann man aber nicht erwarten.

Welche Hoffnungen verbindet ihr mit der Hauptstadt Berlin?

Ramona: Keine Hoffnungen, sondern Befürchtungen, wenn ich sehe, was hier an Palästen gebaut wird. Die Freiräume werden immer geringer. Es gibt auch zu viele Menschen, die resignieren, weil sie nicht glauben, etwas verhindern zu können. In Berlin gibt es genug Arbeit für alle, genug Platz und Wohnraum. Es wäre viel schöner, wenn Berlin bunter und grüner wäre und wenn es weniger Autos gäbe und die Menschen nicht mit so bösen Gesichtern in der U-Bahn säßen. Das Klima ist hier viel zu ernst.

Christoph: Mit der Hauptstadtentwicklung verbinde ich große Hoffnungen. Zentralen großer Konzerne werden wieder nach Berlin kommen und damit Arbeitsplätze schaffen. Berlin wird auch als Metropole innerhalb Europas wieder viel attraktiver. Ich hoffe auch, daß die Bonner Politik sich dadurch ein bißchen ändert, weil sie dann an den Brennpunkten näher dran ist.

Ramona: Die Politiker werden um alles einen großen Zaun machen, gerade Berlin-Mitte wird sich sehr kraß verändern. Hier wird es so viele Orte geben, wo du nicht mehr hinfahren kannst. Die Politiker werden sich abschotten. Sie sind es doch, die eine Mauer bauen.

Interview: Gerd Nowakowski

und Julia Naumann