Seelenfang bei Scientology

Eine Sekte, mit der nicht zu spaßen ist: Wir wagten einen Besuch bei der Scientology-Kirche in Berlin und gerieten in eine perfekte Inszenierung zur Kundenwerbung  ■ Von Christoph Wende und Jens Mielke

„Sie alle wollten wissen, wie man das Leben in den Griff bekommt.“ So preist Scientology ihren neuesten Film „Das Problem des Lebens“ an, der angeblich „das Tor zum Leben“ öffnen soll. Wir entschlossen uns, die Scientology- Kirche in Berlin zu besuchen, um den Film anzuschauen und uns einen Einblick zu verschaffen.

Zunächst erkundigten wir uns telefonisch, wie diese zu erreichen sei. Nachdem wir die Auskunft erhielten, verwickelte man uns in ein Gespräch. Durch Fragen wie „Kommt ihr mit Auto?“ oder „Seid ihr Schüler?“ verschaffte man sich einen ersten Eindruck von uns.

In der Sponholzstraße Berlin- Friedenau angekommen, überkamen uns erste Zweifel. Sicherheitshalber hatten wir uns schon auf der Hinfahrt eine neue Identität zurechtgelegt und uns Antworten auf mögliche Fragen einfallen lassen. Falsche Namen und neue Wohnorte hatten wir natürlich auch.

Durch die schaufensterähnliche Fassade konnten wir einen Einblick in die Räumlichkeiten des Gebäudes gewinnen. Unser Augenmerk richtete sich dabei sofort auf das (achteckige) Kreuz und die Büste des geistigen Urvaters L. Ron Hubbard. Wir umkreisten zunächst das Gelände, befragten anschließend eine Fußgängerin zum Ruf dieser Scientology-Gemeinde. Sie konnte uns dazu keine näheren Auskünfte geben, sagte nur, daß sie schon mehrfach von Scientologen auf der Straße angesprochen worden sei.

Nach längerem Zögern betraten wir schließlich das Gebäude. Dort erwartete uns eine mit Perfektion betriebene Maschinerie, die darauf abzielt, Kunden möglichst schnell für sich zu begeistern und einzunehmen. Um an weitere Informationen zu gelangen, gingen wir zum Schein auf das Spiel der Scientologen ein.

Unser Kommen erregte sofort Aufsehen. Jeder Angestellte, ob Sekretärin oder Seminarleiter, schenkte uns ungeteilte Aufmerksamkeit. Alles schien sich auf uns zu konzentrieren – wir standen im Mittelpunkt des Interesses. Eine gekünstelt familiäre Atmosphäre sollte uns das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit geben. So bot uns eine Frau mehrmals Getränke an und lächelte uns zu.

Unter ständiger Beobachtung schauten wir den Film an, der angeblich die Lösung aller Probleme dieser Welt bringen soll. Eine Sekretärin versicherte uns, daß „der Film die Wirklichkeit widerspiegelt“.

Ein Ehepaar, auf der Suche nach neuen Lebensinhalten, stellte sich immer wieder eine Frage: „Wie kann man das Leben handhaben?“ Sie befragten angesehene Persönlichkeiten der Gesellschaft, unter andern Professoren, Politiker und Ärzte. Aber niemand konnte ihnen helfen, bis Scientology in ihr Leben trat. Mit einem Schlag waren alle Probleme gelöst, und das Leben war wieder lebenswert (?).

Nach dem Film verwies man uns auf den späteren Vortrag eines Doktor Raschida. Die halbstündige „Verspätung“ nutzte man, um uns weiterhin zu beobachten. Besonders auffallend war, wie eine Frau ständig unser Spiegelbild in den großen Fenstern beobachtete.

Diese Anhängerin – wir vermuten eine psychologisch geschulte Mitarbeiterin – begann dann mit uns ein Gespräch zu führen. Sie stellte sich als Ute vor und überraschte durch ihre extreme Offenheit. Aus ihrer Art, sich zu artikulieren, wurde deutlich, daß sie ihr Verhalten extra auf Jugendliche abstellte („cool“, „geil“, „Scheiße“). Sie vertraute uns ihre früheren Sorgen und Ängste an, die sie dort zu „bewältigen lernte“.

Wir stellten kritische Fragen, um nicht zu naiv und leichtgläubig zu wirken. Als wir einen mysteriösen Todesfall einer Scientologin ansprachen, erwiderte sie kalt: „Scientologen sind Menschen wie du und ich. Sie sterben auch irgendwann mal.“ Für uns bestätigte sich die Aussage eines amerikanischen Ex-Scientologen: „Ein Menschenleben bedeutet in der Scientology rein gar nichts!“

Während des Gesprächs schallten immer wieder beschwörende Parolen aus dem Seminarraum, wie z.B. „Macht durch positive Energie“. Die für uns nicht nachvollziehbare Hingebung löste in uns Angst und Unwohlsein aus. In diesem Moment wurde uns extrem bewußt, wie stark die Manipulationsmöglichkeiten der Scientologen sind.

Der angeblich jeden Freitag stattfindene Vortrag war im Endeffekt nur auf uns beide ausgerichtet. Die beiden weiteren Zuhörer erwiesen sich als mehr oder weniger schlechte Statisten, wobei einer den eher passiven Teil übernahm, der andere den kritischen Interessenten, der von uns nicht aufgeworfene Fragen stellen sollte. Die perfekte Inszenierung des Vortrags paßte in das Schema einer absolut professionellen und durchdachten Sekte. Auf kritische Anmerkungen von uns erhielten wir unpassende, oft an den Haaren herbeigezogene Antworten. Mit einer nahezu krankhaften Euphorie versuchte Doktor Raschida uns davon zu überzeugen, daß das Interesse der deutschen Bevölkerung an Scientology in Wirklichkeit viel größer sei, als dies die Medien immer darstellen. Des weiteren kündigte er die Veröffentlichung brisanter Vergehen Norbert Blüms an, dessen Arbeitsmarktpolitik auf starke Kritik stoße.

In der inszenierten Opferrolle, in der sich die Scientologen mit dem Judentum zu Hitlers Zeiten vergleichen, wirkten sie auf uns eher lächerlich als überzeugend. „Es ist so! Es bestehen Parallelen zwischen der Hetzkampagne gegen die Juden damals und der Hetzkampagne gegen die Scientology-Kirche heute“, so Raschida. Weiterhin kritisierte er die deutsche Presse, die seiner Meinung nach allein von fünf Leuten bestimmt wird und den Scientologen keinerlei Möglichkeiten zur Gegendarstellung biete. Die anmaßende Gerichtsbarkeit des Vortrages hinterließ einen unglaubwürdigen Eindruck. Wie kann eine Sekte, deren Gesellschaftsbild antisozial und antidemokratisch ist, über Recht und Unrecht ent scheiden?

Die Scientologen zeigten großes Interesse an einem erneuten Treffen. Wir sagten dem Termin zu, waren aber noch nicht schlüssig, ob wir diesem wirklich nachkommen würden. Nach längerem Bedenken entschlossen wir uns, ihn wahrzunehmen, obwohl uns die Erlebnisse des Vortags hätten abschrecken sollen. Unsere unbefriedigte Neugier war jedoch stärker als jeder Zweifel oder jede Angst. Nach der üblichen Begrüßung führte man uns (im Gegensatz zum ersten Tag) in einen speziellen Videovorführraum, dessen schalldichte Isolierung ein wenig fremd und beängstigend auf uns wirkte. Der sehr kleine Raum – vier Stühle, eine Leinwand und zwei Boxen – machte einen provisorischen Eindruck. Die Situation erschien uns als durchaus kritisch, da die Tür jederzeit hätte abgeschlossen werden können. Zusätzliches Mißtrauen löste die Bemerkung aus, wir sollten uns doch in die hintere Reihe setzen.

Der verheißungsvolle Filmtitel „Orientation“ gewährte Einblicke in den Aufbau der Scientology. Neben Justizbehörden, Standesämtern, Universitäten verfügt die Sekte auch über einen Geheimdienst (Office for Special Affairs). Prunkstück ist ein Kreuzschiff, welches ausschließlich für die Elite gedacht ist. Im Vergleich zum Film „Das Problem des Lebens“ stellte „Orientation“ eine deutliche Steigerung dar! „Sie können von der Brücke springen, Sie können sich erschießen, Sie können aber auch zu Scientology kommen ... Wenn Sie eine Zukunft haben wollen, kommen Sie zu uns ... Es ist Ihre Wahl!“. Die Überzeugung hinter ihrer Rolle als „Weltretter“ stellte sich besonders erschreckend durch solche Äußerungen dar. Nach dem Ende des Films kam eine Frau zu uns, um eventuelle Zweifel sofort zu beseitigen. Sie hielt uns einen Vortrag, der in uns absolutes Desinteresse weckte und zu argen Konzentrationsschwächen führte. Mit unmißverständlichen Gesten machte sie ihre Skepsis uns gegenüber deutlich. So trat sie ganz dicht an uns heran und meinte: „Man merkt ganz genau, wenn jemand einen anderen nicht in seinem Raum haben möchte.“ Aufgrund der zunehmenden Spannung bereiteten wir dem Vortrag ein schnelles Ende. Den uns aufgedrängten Termin für den nächsten Tag nahmen wir nicht mehr wahr.