„Rassismus soll wegdefiniert werden“

■ Helga Seyb von der Antirassistischen Initiative Berlin kritisiert das „Europäische Jahr gegen Rassismus“: Es wird nur über Einzelfälle geredet, nicht über rassistische Strukturen

taz: Die Antirassistische Initiative Berlin äußerte schon bei der Eröffnungsveranstaltung zusammen mit anderen Gruppen ihren Unmut über das „Jahr gegen Rassismus“. Was sind eure Hauptkritikpunkte an dem Konzept?

Helga Seyb: Einer der Kritikpunkte ist, daß das „Europäische Jahr gegen Rassismus“ auf nationaler Ebene vom Innenministerium koordiniert wird. Von dem Ministerium also, das ursächlich für Abschiebungen verantwortlich ist, aber zu großen Teilen auch für die unmenschliche Situation vieler hier lebender Menschen, insbesondere von Flüchtlingen. Auf Berliner Ebene beispielsweise liegt die Koordination bei der Ausländerberauftragten Barbara John. Wir denken, daß es eigentlich nicht angehen kann, daß ein Ministerium, das für die Ausgrenzung von Leuten verantwortlich ist, gleichzeitig den Kampf gegen Rassismus koordinieren sollte.

Wie sieht die Finanzierung des Europäischen Jahres gegen Rassismus aus?

Es gibt etwa 4,7 Millionen Ecu für dieses Projekt in ganz Europa. Ich schätze, daß das Geld für Deutschland mit der Eröffnungsveranstaltung von Frau John am 4.März und mit der geplanten Dokumentation schon aufgebraucht ist. Es gibt aber vom nationalen Koordinierungsausschuß in Bonn den Aufruf an Gruppen und Initiativen, weiterhin Anträge zu stellen. Das Problem dabei ist, daß ausdrücklich auch Verwaltungen und Behörden Anträge stellen können. Hinzu kommt, daß die Europäische Union Projekte nur zur Hälfte finanziert. So müßte ein kleines Projekt 50 Prozent des Betrages selber aufbringen, was den meisten gar nicht gelingen kann. Diese sind darauf angewiesen, mit großem Aufwand andere Finanziers zu suchen, so daß eine der Hoffnungen, die mit diesem Jahr für viele Initiativen verbunden waren, schon im Vorfeld zerstört wurde. Die wenigen Mittel werden dazu noch merkwürdig verteilt.

Sieht die Lage in anderen Ländern der Europäischen Union, in denen die Koordinierung zum Teil von regierungsfremden Organisationen geleitet wird, besser aus? So wird beispielsweise in Belgien das Europäische Jahr gegen Rassismus vom Zentrum für Chancengleichheit und den Kampf gegen Rassismus organisiert, einer Nichtregierungsorganisation.

Das ist mir nicht bekannt. Ich denke aber, in anderen europäischen Staaten ist zum Teil die Diskussion über Rassismus und deren Ursachen ein bißchen weiter. Es gibt dort auch schon Kommissionen oder Antidiskriminierungsstellen, die seit vielen Jahren anders arbeiten und besser ausgestattet sind als in der Bundesrepublik. So gibt es in Großbritannien unabhängige Kommissionen, welche die Polizei beobachten, oder auch Antidiskriminierungsgesetze. Die Ausgangspunkte in den einzelnen Ländern sind vollkommen verschieden.

Welche Aktionen sind innerhalb des offiziellen Europäischen Jahres gegen Rassismus geplant?

Es gibt für Berlin einen Veranstaltungskalender. Allerdings schätze ich, daß ein Großteil der Veranstaltungen unabhängig vom Jahr gegen Rassismus geplant waren. Es werden also Veranstaltungen in diesem Kalender aufgeführt, die sowieso stattgefunden hätten. Ein Beispiel dafür ist die Ausstellung vom Bundesamt für Verfassungsschutz in Zusammenarbeit mit dem Berliner Landesamt für Verfassungsschutz zum Thema „Demokratie ist verletzlich“. Deren Finanzierung ist noch nicht offengelegt. Weiterhin wird es Tagungen und Kongresse geben, die von der Ausländerbeauftragten Barbara John selber organisiert werden. Bei anderen Aktionen, wie dem üblichen Jugendfotowettbewerb, geht es wohl eher darum, den Rechenschaftsbericht zu füllen.

Was seht ihr als innenpolitisches Hauptanliegen des Jahres gegen Rassismus, so wie es in der Bundesrepublik umgesetzt wird? Was soll damit erreicht werden?

Ich denke, daß die BRD überhaupt keine Konzeption hat. Dieser Beschluß in der Europäischen Union muß hier auf bundesweiter Ebene irgendwie umgesetzt werden, weil man ihn nicht wirklich umsetzen kann. Wie sich aber hier in Berlin von Anfang an abgezeichnet hat, sollte das Thema Rassismus eigentlich schon im Strategiepapier der Ausländerbeauftragten wegdefiniert werden. Es wird wieder darum gehen, nur individuelle Fremdenfeindlichkeit zu thematisieren. Es wird immer von Morden und Übergriffen geschrieben, nie aber über die rassistischen Strukturen, die es in allen Ländern gibt. So existieren überall Ausländergesetze und geschlossene Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union, was sich an der polnischen Grenze besonders heftig bemerkbar macht.

Auf dem Weg nach Europa sind mehr Menschen gestorben, als von Neonazis ermordet worden sind. Dies steht für eine klare Abschottungspolitik. Diese Themen sollen nicht zur Sprache kommen. Was jedoch von einigen Staaten beabsichtigt sein könnte: Es soll wieder über Einwanderungsgesetzgebung geredet werden und in diesem Zusammenhang über angeblich zu viele Einwanderer, besonders Illegale, die man mit Einwanderungsgesetzen stoppen will.

Man darf sich nicht vormachen, daß eine Einwanderungsgesetzgebung dazu dient, daß Menschen hierherkommen. Sie dient dazu, Leute davon abzuhalten. Nur die fittesten Immigranten, die schon einen Antrag im Heimatland gestellt haben, sollen reingelassen werden.

Welche Aktionen kann man von euch in den nächsten Monaten erwarten?

Auf diese Frage sage ich immer: Wir machen unsere Arbeit wie jedes Jahr. Aktuell machen wir jeden Freitag eine Aktion auf dem Breitscheidplatz gegen Razzien der Polizei, von denen alle, die wie Ausländer aussehen, besonders Schwarze, betroffen sind. Wir haben schon im letzten Jahr damit begonnen, gegen Polizeiübergriffe Kundgebungen zu machen, und führen dies nun in den nächsten acht Wochen weiter. Daran schließen sich verschiedene Innenstadtaktionen an, wie zum Beispiel Aktionstage gegen die menschenfeindliche Umgestaltung von Innenstädten.

Außerdem eröffnen wir bald eine Ausstellung im Rathaus Kreuzberg über Abschiebegefängnisse in der Bundesrepublik. In diesem Rahmen folgen dann weitere Veranstaltungen, die wir zum Teil auch mit anderen Gruppen zusammen organisieren. Das Hauptthema wird dabei die Abschottung Europas sein und die praktische Schließung der polnischen Grenze für Einwanderer. Es geht weiter darum, das Thema Abschiebungen nach Bosnien immer wieder zu thematisieren. So werden von dem neugebildeten Bündnis weitere Veranstaltungen in den nächsten Wochen ausgehen. Ansonsten wollen wir auf jeden Fall die Roma in ihrem Kampf um Bleiberecht unterstützen. Interview: Ole Behrens