Journalismus-Business as usual???

■ betr.: „Mittelmaß statt Kata strophe“, taz vom 10. 4. 97

Am 7. März hat Barbara Dribbusch in einem Leitartikel der taz den Menschen sagen können, was sie „müssen“, nämlich sich „längst anpassen“ an die realen Veränderungen der Arbeitswelt, sprich Arbeitslosigkeit, und „ihre Ansprüche weiter herunterschrauben“. In der taz vom 10. 4. nun hat sie die Gelegenheit wahrgenommen, ihre Idee von der normativen Kraft des Faktischen weiter zur Schau zu stellen: „... angesichts der Massenarbeitslosigkeit“, „im Zeitalter der Massenarbeitslosigkeit“. Von diesem säkularen Faktum geht sie als fester Größe aus. Sie ist ihr der Maßstab für das, was als neue Lage, das meint als neue Gangart des Neoliberalismus zu akzeptieren ist. Daß Deutschland endlich aufholt bei der global in Gang gesetzten Aufspreizung der Schere zwischen Arm und Reich, befriedigt ganz offensichtlich ihren affirmativen Sinn für die neuen Realitäten beim Arbeit-Haben und Keine-Arbeit-Haben, beim Verdienen und Nichtverdienen, ein Sinn für ausgleichende Gerechtigkeit nach dem Motto: Jetzt müssen alle etwas weniger recht haben.

Ob die deutsche Aufholjagd vielleicht damit zusammenhängt, daß nach dem Fall der Mauer kein Vorzeigekapitalismus mehr vonnöten ist, weil jede Konkurrenz bei der Gestaltung des Arbeits- und Konsumlebens entfällt, kann bei dieser „realistischen“ Einschätzung der Dinge gar keine Frage sein. Hätte sie sich jedoch genauer der Lektüre von Joseph Schumpeter und Adolf Hayek erinnert, wäre Dribbusch womöglich auf die Idee gekommen, uns etwas davon zu erzählen, wer diese Arbeitlosigkeit eigentlich will und macht.

Diese beiden Vordenker des Globalismus nämlich, die sich früh gegen jedes nationalökonomische Denken gewehrt haben, sähen sich heute am Ziel ihrer Entwürfe und Wünsche. Für sie ist Arbeitslosigkeit nicht mehr als ein beherrschbares ordnungspolitisches Problem. Was allein zählt, ist der Markt, auf dem sich – fortschrittlich – entscheidet, wer bleibt und wer weg muß. Es ist der Austragungsort des ökonomischen Rassismus, der nur eines im Sinn hat: Altes niederzukonkurrieren (ein Lieblingswort Schumpeters) und neue Technologien durchzusetzen. Auf den „ewigen Sturm der kreativen Zerstörung“ (Schumpeter 1942) als eines Fortschritts rein um des Fortschritts willen setzen diese Ökonomen aber darum, weil sie darin das Wesen der ökonomischen Entwicklung sehen. Genau dieses Wesen des Marktes, wie es die treibenden Kräfte des Neoliberalismus verkörpern, „will“ aber heute, wie es auf Gedeih und Verderb mit der Entwicklung neuer Technologien und mit der Rationalisierung der Produktion verbunden ist, partout die wegkonkurrierten und wegrationalisierten Arbeitsplätze nicht mehr durch neu zu schaffende ausgleichen.

Die Idee, durch Dienstleistungen, nämlich durch pausenlose Neugründungen von irgendwelchen Beratungs- und Brötchenaustragdiensten genügend „Jobs“ zu schaffen, die so viel Geld bringen, daß ihre glücklichen Inhaber nicht nach Drogen und fremdem Geld zu greifen brauchen, sollte endlich als gezielte Irreführung erkannt und zum ideologischen Müll geworfen werden. Hört man auf die Absichtserklärungen deutscher Unternehmen, dann haben wir allen Grund zur Annahme, daß sich die Arbeitslosenzahl in Deutschland bis zum Jahre 2000 eher noch einmal verdoppeln als halbieren wird. Ob man die Geschäftsberichte von Siemens, Daimler oder Deutscher Bank liest, stets ist die Zunahme des Gewinns mit der Abnahme der Beschäftigten verbunden, das Steigen der Aktienkurse mit einer Minderung des in Deutschland versteuerten Gewinns.

Gestern hat das wieder einmal VW vorgeführt: Steigerung des Gewinns um mehr als 100 Prozent (von 336 auf 678 Millionen), Abnahme der Beschäftigten in Deutschland um 5,5 Prozent (diese geringe Abnahme verdankt sich der Regelarbeitszeit von 28,8 Wochenstunden und der damit verbundenen Senkung der Einkünfte pro Beschäftigtem um 18 Prozent), Ansteigen des Aktienkurses am Tage des Berichts von 941 auf 996 (um über fünf Prozent), seit Herbst des Jahres um mehr als das Doppelte.

Das alles interessiert Dribbusch nicht, weil es ja gilt, sich in die neue Situation zu finden. Da aber entdeckt sie, nach einem Rundblick über alle möglichen fremden „Jobwunder“, ganz überraschend einen deutschen Weg, das zu tun. Daß es bei uns so kommen müßte wie etwa in den USA, hält sie für puren Alarmismus der Gewerkschaften und Arbeitgeber, für einen typisch deutschen Sozialalarmismus. Warum denn aber soll sich gerade bei uns der „Turbokapitalismus“ (Edward Luttwark) nicht voll durchsetzen? Weil das Soziale in der „deutschen (!) Marktwirtschaft“ schon immer „recht anpassungsfähig“ gewesen sei. Als wäre nichts gewesen, und als sei nichts, wird von global wieder auf national geschaltet.

Daß derzeit auch bei uns der demokratietragende Mittelstand mehr als nur dezimiert wird, daß wir mit Riesenschritten von einer Zweidrittel- zu einer Einfünftelgesellschaft unterwegs sind, wird Dribbusch wohl als einen Faktenalarmismus abzutun verstehen. Am Schluß weiß sie ja eben, und das fand die taz auch wert, es bereits in der Überschrift zum Ausdruck zu bringen, daß die Auflösung des Sozialstaats im Zuge der Globalisierung nicht stattfindet. Woher sie das weiß, verrät sie uns freilich nicht. Vor allem ihr Wissen, woher bei all dem auf die Dauer die für den einzelnen, die Wirtschaft und den Staat nötige Kaufkraft kommen soll, hält sie strikt geheim.

Was aber, wird sie uns fragen, gibt es Besseres als die Anerkennung der Realität, in diesem Falle der Politik von FDP und CDU, die eine SPD unter Schröder auch nicht ändern würde, zumal diese Politik nur Zuträgerdienste für Vorgänge leistet, die vom Willen des Marktes beherrscht sind? Meine Antwort: intellektuell, wissenschaftlich und politisch sich um alternative Möglichkeiten bemühen, die diesseits von Akzeptanz und Utopie liegen. Intellektuelle, die uns die Akzeptanz empfehlen, sind um keinen Deut besser als die anderen, die unseren Geist mit Utopien einnebeln. Der menschliche Realitätssinn, wie er auch Sinn für gelingendes Leben ist, hat keinen Grund, sich den Zwängen eines gnadenlosen Marktes zu fügen. Rainer Marten, Freiburg

Die politische Depression in Deutschland beginnt sich der in den USA allmählich anzugleichen, siehe Wahlbeteiligung, siehe „Jobwunder“ auf Kosten der Armen und des Services, der grauenhaft schlecht für die ohne Geld und ohne Hoffnung ist. Die taz, die immer noch anders als die anderen Tageszeitungen sein will, ist der deutschen Kohl-Schröder-Lafontaine-Alternativlosigkeit realpolitisch anheimgefallen. So sehr, daß selbst die sozial gewissenhafte Barbara Dribbusch in ihrer „Mittelmaß statt Katastrophe“-Eloge die Auseinandersetzungen der Kapital- und Gewerkschaftsseite in Deutschland historisierend, relativ und global verharmlost, zumal sie in ihrem Rückblick 1933–1945 ausläßt.

Aber sich so mit der Katastrophe des Asozialen zu beschäftigen, wäre freilich alarmisierend, und diese alerte Haltung überläßt die taz der monatlichen Le Monde Diplomatique-Beilage. Nur noch dort, wie in den USA selbst, spürt man die Notwendigkeit, die AmerikanerInnen vor der Amerikanisierung zu bewahren. Diese AmerikanerInnen, die auf die Politik der internationalen Solidarität der ehemals Grünen hofften, sollten auch im eigenen Interesse nicht durch verschlafenes Standortgeschwafel (à la Markus Franz'„Standort D verschlafen“, gleiche taz-Ausgabe) noch mehr desillusioniert werden. Zumindest bräuchten wir dafür nicht mehr die dafür zu teure taz. Quel catastrophe!!! Halina Bendkowski, Berlin