Grüne verpassen den Steuerkonflikt

In der Steuerdebatte gingen die Ideen der Bündnisgrünen unter. Nun präsentierte die Finanzexpertin der Fraktion die vorläufige Analyse eines unabhängigen Instituts – vermutlich zu spät  ■ Aus Bonn Markus Franz

Eigentlich war es ein großer Tag für Christine Scheel. Endlich, sechs Monate später als erhofft, präsentierte die finanzpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen am Mittwoch ihr Steuerreformkonzept. So nervös war sie lange nicht mehr gewesen. Ausnahmsweise hatte sie sich für den Auftritt vor der Presse stark geschminkt. Doch der große Tag der finanzpolitischen Sprecherin kam vermutlich zu spät. Denn seit Monaten spielen die Grünen bei dem innenpolitischen Thema Nummer eins, der Steuerreform, so gut wie keine Rolle. Die Opposition stand ohne eigenes Konzept da, weil die SPD zwar eigene Vorstellungen hat, aber eben kein Konzept. Und so bestimmten taktische Spielchen wie das Vier-Augen-Gespräch zwischen Lafontaine und Kohl das Bild. Zu fixiert sind inzwischen alle Beteiligten auf den immerhin spannenden Schaukampf, als daß sie die Grünen noch groß beachten würden.

Die Grünen wollten es seriös machen. Und das dauert nun mal. Das Ziel: von einem unabhängigen Wirtschaftsinstitut eine Verteilungsanalyse erstellen lassen, um auf Heller und Pfennig die Auswirkungen der Steuerreform präsentieren zu können. Erst sollte die Analyse im Oktober fertig sein, dann Ende des Jahres, und nun ist sie immer noch nicht abgeschlossen.

Aber noch länger konnten die Grünen nicht warten. „Wir haben noch Glück gehabt, daß sich Koalition und SPD auf dem Steuergipfel nicht geeinigt haben“, räumt Christine Scheel ein. Die vorläufige Analyse ist inzwischen immerhin so umfangreich – „drei volle Aktenordner“ –, daß sich am endgültigen Konzept nichts wesentliches ändern wird. Ihr Konzept besteht aus einem Mix aus Koalitions- und SPD-Vorstellungen mit einem Schuß eigener Ideen. Allerdings, sagt Christine Scheel, und dabei ist ihr gar nicht wohl, „gibt es mehr Einigungspunkte mit der Koalition als mit der SPD“. Als Schocker für manche Grüne setzt das Konzept die reine Lehre der steuerlichen Gleichbehandlung aller Einkunftsarten um. Konsequent plädiert Christine Scheel, deren Konzept nach eigener Aussage die überwiegende Zustimmung von Partei und Fraktion genießt, nicht nur für die Besteuerung von Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen, sondern auch des Arbeitslosengeldes sowie der Renten. 100 Milliarden Mark wollen die Grünen durch den Abbau von Steuervergünstigungen einnehmen, die Koalition lediglich 45 Milliarden. Wie bei der Koalition steckt hinter den Plänen der Grünen die Überlegung: Die Steuerentlastungen gleichen den Verlust der Steuervergünstigungen zumindest bei den unteren Einkommen mehr als aus. Um dies sicherzustellen, kommen, ähnlich wie bei der SPD, Vorschläge dazu, wie die Erhöhung des Grundfreibetrags von heute 12.000 Mark auf 15.000 sowie des Kindergeldes von 220 auf 300 Mark (SPD: 14.000/250). Extras sind Abzugsmöglichkeiten bei Kinderbetreuungskosten, Erhöhung der Behindertenpauschbeträge und als besonderes Novum: die steuerliche Freistellung der Vorsorgeleistungen für die Zukunftssicherung bis zu rund 3.000 Mark monatlich.

Bluten müssen wie bei der SPD vor allem die Einkommensstarken. Hinter der rosaroten Zielvorstellung „Wenige verlieren, viele gewinnen“ verbirgt sich: Die wenigen verlieren eine ganze Menge, damit die vielen wenigstens etwas gewinnen. Schließlich wollen die Grünen wie die SPD eine aufkommensneutrale Steuerreform.

Am Mittwoch nachmittag im Büro von Christine Scheel besteht noch Hoffnung auf eine große Resonanz. Von Mercedes-Benz bis zur niederländischen Botschaft wollen alle das Konzept haben. Eigentlich läuft es – wenn nicht die Grünen auf die Ökosteuer und das Schreckensbild eines Benzinpreises von fünf Mark festgenagelt würden. „Die verstehen es einfach nicht!“ stöhnt Christine Scheel. Die Ökosteuer habe mit der Einkommensteuerreform nichts zu tun. Die Benzinpreise sollen zwar um 39 Pfennig erhöht, aber mit den Einnahmen von 17,5 Milliarden Mark soll die Rentenversicherung entlastet und damit Arbeit billiger werden. Am nächsten Morgen ist die Enttäuschung noch größer: Die Zeitungen sind voll mit dem schon seit zwei Tage zurückliegenden Steuergipfel. Das Reformwerk der Grünen wird relativ kurz verfrühstückt.