Boris Jelzin bringt Helmut Kohl die SED zurück

■ Russischer Präsident schenkt Bundeskanzler die Archive der SED und das des Reichsministers Rathenau. Abkommen zwischen Rußland und Nato kommt voran

Baden-Baden (AFP/dpa/taz) – Rußlands Präsident Boris Jelzin und Bundeskanzler Helmut Kohl haben gestern in Baden-Baden Gespräche über die geplante Nato-Osterweiterung und das Thema „Beutekunst“ geführt. Jelzin erklärte anschließend, er und Kohl seien sich sicher, daß das Abkommen zwischen der Nato und Rußland wie geplant am 27. Mai in Paris unterzeichnet werde. 90 Prozent des Abkommens seien fertig, sagte Kohl. Lediglich das 5. Kapitel, in dem es um militärpolitische Aspekte geht, müsse noch „dringend diskutiert und durchgearbeitet werden“. Man sei aber auf dem Weg zu einer Einigung. Der russische Präsident verlangte, daß in den neuen Mitgliedsstaaten – voraussichtlich Polen, Tschechien und Ungarn – keine neuen Nato-Waffen stationiert werden dürfen.

Zum Thema „Beutekunst“ erklärte Kohl, Jelzin habe zugesichert, daß er das russische Verfassungsgericht anrufen werde, sollte der Föderationsrat das nach dem Zweiten Weltkrieg mitgebrachte Material zu russischem Eigentum erklären. Als „Geste des guten Willens“ hat Jelzin die kompletten Mikrofilme des SED-Archivs und das Archiv des ehemaligen Reichsministers Walter Rathenau aus Moskau mitgebracht. Von dem SED-Material erwarten deutsche Experten keine sensationellen Enthüllungen, da sich die Originale in Berlin befinden. Doch wird darüber spekuliert, daß möglicherweise brisantes Material der Stasi zu finden ist. Der Nachlaß des 1922 von Rechtsradikalen ermordeten Außenministers Walter Rathenau galt lange Zeit als verschollen. Präsident Jelzin bat Kohl darum, daß der Kanzler bei seinem nächsten Besuch in Moskau seinerseits von den Nazis verschleppte russische Kulturgüter mitbringen möge.

Bei dem Sicherheitsabkommen zwischen der Nato und Rußland gibt es nach Berichten aus Brüssel auch Streit über dessen Bezeichnung: Eine Charta ist Rußland zuwenig, ein rechtlich bindender Vertrag dem Westen zuviel. In der Präambel des Entwurfs wird die Nato als Organisation beschrieben, die nach dem Kalten Krieg eher politische als militärische Aufgaben hat. Eingegangen wird auch auf die Fortschritte Rußlands bei der Demokratisierung und der Einführung der Marktwirtschaft.

Unter dem Kapitel „Grundprinzipien“ bekennen sich Nato und Rußland zu den Menschenrechten und erklären, daß sie auf die Anwendung von Gewalt ebenso verzichten wollen wie auf Eingriffe in Souveränität und Unabhängigkeit eines Staates. Die Sicherheit in Europa wird unteilbar genannt, die OSZE soll gestärkt werden. Ein ständiger gemeinsamer Rat soll sich zweimal im Jahr auf Ministerebene treffen. Eine ständige Vertretung Rußlands bei der Nato und ein gemeinsames Sekretariat sollen die gegenseitige Kommunikation verstärken. klh