„Brutale Ausbeutung“

Rund tausend Prostituierte aus Osteuropa arbeiten inzwischen in Hamburg  ■ Von Lisa Schönemann

„Die Nataschkas sitzen nicht in Rußland oder anderswo und werden plötzlich von einem Mann bis in einen Club nach Hamburg gebracht.“Iskra Koch aus Bulgarien korrigiert die Vorstellung, osteuropäische Mädchen und junge Frauen würden bei Nacht und Nebel verschleppt. Die meisten, so ihre Erfahrung, reisen freiwillig mit und erfahren zu spät, daß ihre Vorstellung vom Getränkeausschenken in einer Bar nichts mit der Arbeit in einem Hamburger Puff zu tun hat. Viele der jungen Frauen kommen dennoch zwei- oder mehrmals nach Deutschland, um anschaffen zu gehen. „Zuhause auf dem Dorf haben sie gehungert“, weiß die bulgarische Mitarbeiterin eines Aids-Präventionsprojektes. Die Not treibe die Migrantinnen in die Arme der Zuhälter.

Die zwischen 18 und 25 Jahre alten Frauen kommen aus Polen, Rußland und der Ukraine, aber auch aus Rumänien, Bulgarien oder Tschechien. Rund tausend von ihnen arbeiten in Hamburg. Zusammen mit den Südamerikanerinnen und Asiatinnen bilden sie etwa ein Drittel der 5- bis 6000 Huren in der Hansestadt. Von den täglich erwirtschafteten bis zu einer Million Mark bleibt ihnen zumeist weniger als ein Bruchteil. Oft wird den Frauen versprochen, das verdiente Geld für mindestens zehn Freier pro Schicht und Siebentagewoche würde ihnen bei der Rückkehr ins Heimatland von einem Kontaktmann übergeben.

„Viele reisen auf eigene Faust an, werden aber bald brutal ausgebeutet“, bestätigt ein Kripobeamter des LKA 242 (Abteilung für Glücksspiel, Kinderpornographie und Zuhälterei) die Erfahrung der Bulgarin. Prostitution ist nicht strafbar, aber auch hier gilt: Wer kein Aufenthaltsrecht hat, darf nicht arbeiten.

Professionelle Anwerber treten seriös auf und übergeben die jungen Frauen dann an ausgefuchste Schlepper. Ihre Zauberworte lauten „Fabrikarbeiterin“, „Babysitter“oder „Küchenhilfe“. Um später Repressalien ausüben zu können, lassen sie sich immer zuerst die Heimatadresse der Frauen geben. „Meinen jüngeren Bruder haben sie in Kiew auf der Straße brutal zusammengeschlagen“, berichtet Galina Gassymow *, die aus einem „Club“am Rande St. Paulis entkommen konnte. „Es ist unvorstellbar, was die Russen einem alles antun können.“Die Forderung des Zuhälters: Galina solle zurückkehren, um ihre „Schulden“abzutragen. Für Visa- und Zimmerbeschaffung, Getränke und Bettzeug sollte sie über zehntausend Mark zahlen. Zudem hatten die Männer ihrer Familie in Minsk erzählt, auf welche Weise die Studentin in Hamburg ihr Geld verdient habe. Die Eltern hatten bis dahin geglaubt, die Tochter sei zur Zwiebelernte unterwegs gewesen.

Die Menschenhändler machen den Frauen die Entscheidung anfangs leicht: Sie besorgen Pässe und Visa. Meist werden die Ausreisewilligen über die deutsch-polnische Grenze oder über Skandinavien eingeschleust. Oft werden die Frauen schon während der Reise mit Schlägen und Vergewaltigungen gefügig gemacht. In Deutschland angekommen, werden sie für fünf- bis achttausend Mark zur sexuellen Ausbeutung an türkische oder deutsche Bordellbetriebe verkauft. Ohne Sprachkenntnisse und Papiere, eingesperrt in einem Appartement in der Vorstadt, sind sie total auf den jeweiligen Zuhälter angewiesen.

„Gegenüber der Polizei sind die Frauen äußerst mißtrauisch“, so die Erfahrung von Iskra Koch, die oft für eine Spionin der Behörden gehalten wird. Sie sucht die Telefonnummern aus den einschlägigen Kontaktanzeigen heraus, um mit den Prostituierten ins Gespräch zu kommen. Die Mitarbeiterin des kooperativen EU-Projektes TAMPEP (Transnational Aids/STD Preven-tion among Migrant Prostitutes in Europe/Projekt) versucht, die Osteuropäerinnen über die gesundheitlichen Risiken und Verhütungsmittel zu informieren. „Jeder Tag, den sie hier sind, zählt für sie“, weiß die Bulgarin, die die Migrantinnen dabei unterstützen will, sich selbst bei der Arbeit besser zu schützen.

In den seltensten Fällen kommt es tatsächlich zu einer Gerichtsverhandlung und Verurteilung der Täter, weil die Zwangsprostituierten die Rache der Zuhälter und ihrer Hintermänner fürchten. Das Ausländergesetz enthält einen Passus, nach dem aussagewillige Frauen Schutz und auch eine Duldung bekommen, um einer Bedrohung im Heimatland zu entgehen. Je nach Gefährdungsgrad werden sie im Frauenhaus oder auch außerhalb Hamburgs untergebracht. Die Maßnahmen reichen bis zur Beschaffung einer neuen Identität. Doch der Zeuginnenschutz endet an der deutschen Grenze. Nach Abschluß eines Prozesses werden die Frauen ausgewiesen und überdies mit einem Einreiseverbot belegt.

Immerhin kam es 1996 in 83 Fällen zur Verhandlung, mitunter konnten vom Anwerber über den Schlepper bis zum Zuhälter oder Bordellbetreiber alle beteiligten Männer zur Verantwortung gezogen werden.

* Name von der Redaktion geändert.