„Am liebsten den ganzen Lehrplan umschmeißen...“

■ Trauriger Bremer Schulalltag: Ist das, was die SchülerInnen heute lernen müssen, wirklich notwendig?

Deutschunterricht. 33 SchülerInnen im Raum. Anna, Maria, Peter, und Kevin unterhalten sich laut über den Film „Romeo und Julia“. Lars und Jan kloppen sich um eine Tafel Schokolade. Ein paar Bänke weiter wird gerade gefrühstückt. Ein paar Mädchen malen ihre Lieblinge an die Tafel. Lehrer Stöver interessiert das alles nicht, er diskutiert mit der ersten Reihe über die Erziehung seiner Kinder.

Solche oder ähnliche Szenen hat wahrscheinlich jedeR SchülerIn schon einmal erlebt. Schulalltag in Bremen. Das liegt aber nicht nur an faulen SchülerInnen und alten LehrerInnen, sondern auch am vorgeschriebenen Unterrichtsstoff. Ist das, was SchülerInnen alles lernen müssen, wirklich notwendig, oder Schnee von gestern?

„Geschichte ist langweilig. Es sollten mehr Hintergründe und Filme gezeigt werden“, meint der Zehntkläßler Karsten der Gesamtschule Mitte (GSM). Mathe finden auch viele überflüssig. Nicht nur die SchülerInnen, sondern auch die LehrerInnen sind unzufrieden: „Was in den höheren Klassen in Mathe unterrichtet wird, braucht man oft nicht. Die Themen sind teilweise zu unlebendig und treffen nicht die Interessen der Schülern“, so der Mathelehrer Sönke Wittenberg. Man sollte auf andere Themen mehr eingehen. „Die LehrerInnen der GSM bemühen sich, den Unterricht möglichst interessant rüberzubringen.“Das bestätigen einige SchülerInnen auch: Fabienne, 16, langweilt sich nicht so oft.

Anna, Schülerin der 12. Klasse an der Hamburger Straße, würde am liebsten den Lehrplan umschmeißen. Sie findet, daß die SchülerInnen den Unterricht mitgestalten und die Schwerpunkte mit den LehrerInnen zusammen festlegen sollten.

Dieser Meinung ist Rolf Möhlenbrock, zuständig für die Lehrpläne in der Bildungsbehörde, aber nicht: „Die Lehrpläne sind nicht zu eng gefaßt. Sie werden ständig aktualisiert. Sie dürfen nicht nur auf den Interessen der Schüler aufbauen, auch gesellschaftliche Interessen müssen berücksichtigt werden.

Margitta Schmidtke vom Zentralelternbeirat befürchtet gar, die Vergleichbarkeit der Inhalte könne verlorengehen. „Wenn SchülerInnen die Schule wechseln, haben sie möglicherweise Probleme, in der neuen Klasse mitzukommen.“

Yasmina Wöbbekind, von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), fragt sogar: „Wer hält sich schon an Lehrpläne?“Die GEW habe im Moment Wichtigeres zu tun, als sich um Lehrpläne zu kümmern. „Der Unterricht hängt auch von einzelnen Lehrern ab“, so Wöbbekind weiter.

„Wenn die Ausbildung schon zwanzig Jahre her ist, sind die LehrerInnen nicht mehr so fit“, sagt Erika Bosecker, Vorsitzende des Personalrats Schulen. Die Fünft-kläßlerin Tineke hatte mal einen jüngeren Lehrer: „Bei dem war es viel interessanter!“

Lisa, neunte Klasse Altes Gymnasium, fände fächerübergreifenden Projektunterricht gut: „Lernen wäre weniger stressig.“

Alles gute Ideen, die wenig kosten. Aber haben wir denn nichts Wichtigeres zu tun, als uns um die Zukunft zu kümmern?

Kristin Keveloh, Johanna Lampe, Nils Stegemann