Wirte mit dem Rücken zum Zapfhahn

■ Fast zehn Prozent Umsatzrückgang in Kneipen und Gaststätten. Nur Luxusrestaurants und Fast-food-Ketten sind fein raus. ServiererInnen stehen in der Lohnskala ganz unten

Einem beherrschenden Phänomen unserer Zeit, der Rationalisierung, sind in der Gastronomie enge Grenzen gesetzt. Die deutsche Putzfrau kann man zwar durch eine billigere, ausländische ersetzen – aber kaum die Bedienung durch einen Bedienungsroboter. Das würde den Charakter der Gaststätte grundsätzlich verändern und wahrscheinlich die Gäste verscheuchen.

Peter Härig, Chef der Hotel- und Gaststätteninnung und Inhaber des Georgbraeu im Nikolaiviertel, hat eine der wenigen Rationalisierungsmöglichkeiten entdeckt. Er kaufte eine Ausschankmaschine, die nur exakt die Menge Bier abgibt, die ins Glas paßt. Kein Tropfen läuft über. Außerdem registriert die Apparatur jeden abgefüllten Humpen. Das dämpft den Durst des Zapfers, der sich ansonsten manches Bierchen unerlaubt einverleibt hätte.

Die Kosten lassen sich nur schwer reduzieren, ungeachtet dessen sinken die Umsätze der Berliner Kneipen und Gaststätten – im vergangenen Jahr immerhin um durchschnittlich 9,7 Prozent. Viele WirtInnen sitzen deshalb in der Klemme. Sie stehen kurz vor dem wirtschaftlichen Exitus. Indizien für die Schwierigkeiten liefert die Statistik: Von rund 10.000 Bewirtungsbetrieben der Stadt wechselten im vergangenen Jahr 3.853 die BesitzerInnen – über 1.000 mehr als kurz nach der Wende. Trotzdem scheint die eigene Kneipe noch als leichter Start in die Selbständigkeit zu gelten, denn die Zahl aller Gaststätten stieg 1996 um gut 400.

„Viele Leute kaufen sich inzwischen lieber eine Tiefkühlpizza“, umschreibt Heike Wille von der Gaststätteninnung das Problem, „das ist billiger, als im Restaurant zu essen.“ Die mangelnde Nachfrage, ausgelöst durch Arbeitslosigkeit, Wegfall der Berlinförderung und Gebührenerhöhungen allerorten, sei es, die den Kneipiers das Leben schwermache.

Eine Analyse, die nicht so recht glauben will, wer nachts eines der knallvollen Etablissements in den angesagten Stadtteilen betritt. Natürlich blieben auch viele Bars, Diskotheken und Clubs von der Depression verschont, heißt es bei der Innung. Doch vor allem den altehrwürdigen Berliner Eckkneipen werde zunehmend der Garaus gemacht.

Daß beim offiziellen Tariflohn kein Spielraum nach unten zur Kostensenkung besteht, räumt selbst die Innung als Vertretung der Arbeitgeber ein. Dem neuesten Tarifvertrag zufolge bekommen ServiererInnen mindestens 2.313 Mark brutto pro Monat und sind damit die nahezu schlechtbezahltesten Arbeitskräfte.

Rund 30.000 der 45.000 Beschäftigten arbeiten zwar in tarifgebundenen Betrieben, doch wie viele den Tariflohn tatsächlich bekommen, steht in den Sternen. Manche Kneipe findet ihren eigenen Weg der Lohnsenkung. Deregulierte Arbeitsverhältnisse nähmen zu, weiß die Innung.

Geringe Rationalisierungsmöglichkeiten ergeben sich noch, wenn Kneipen die Bulette und Soljanka durch Fertigprodukte ersetzen. Das spart Handarbeit. Man braucht nur noch eine Mikrowelle. Doch fein heraus sind wohl nur Spezialitätenrestaurants und Luxusherbergen. Sie erfreuen sich einer Kundschaft, die es nicht nötig hat, auf Mark und Pfennig zu schauen. Auch die sogenannten „Systemgastronomen“ wie Mövenpick und McDonald's, die die Gaststätte zur Fabrik machen, haben keinen Grund zu klagen. Hannes Koch