Die Grenzen grenzenloser Freiheit

Symposium von Bündnis 90/Die Grünen thematisierte die Bedingungen des Ferntourismus  ■ Von Christel Burghoff

Wir haben allen Grund, den Flugverkehr zu reduzieren“, so das Fazit von Ady Köhn vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie auf einem Grünen-Symposium zum Thema „Ferntourismus – grenzenlos?“. Dabei prognostiziert die Welttourismusorganisation (WTO) bis zum Jahr 2010 eine Zunahme der internationalen Ankünfte von 593 Millionen (1995) auf eine Milliarde; im Jahr 2020 sollen sogar satte 1,6 Milliarden Menschen unterwegs sein. Jede dritte Reise wird eine Fernreise sein. Mit diesen Zahlen schreibt die WTO den derzeitigen Trend fort – trotz sinkender Einkommen großer Bevölkerungsschichten, trotz stagnierender Bevölkerungszahlen und trotz großer Unsicherheitsfaktoren wie Preisentwicklungen und politische Konstellationen. Auch Tourismusexperten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sehen es nicht viel anders. In der Delphi-Studie „Fernreisen 2005“ prognostizieren sie Zuwachsraten von 4 bis 5 Prozent jährlich.

Die globale Massenhaftigkeit des Reisephänomens schafft Freude bei Touristikern – bei ökologisch engagierten Tourismuskritikern hingegen nährt sie das ungute Gefühl, bei allem ökologischen Engagement der vergangenen Jahre doch erst am Anfang aller Bemühungen zu stehen. Anders gesagt: Mit sanftem Tourismus wurden lediglich lokal begrenzte Umweltthemen aufgegriffen. International gesehen hilft sanftes Modelldenken herzlich wenig. Auf dem Symposium von Bündnis 90/Die Grünen in Bonn wurden nun die internationalen Bedingungen thematisiert. Beispielsweise das Problem mit den Zuwachsraten: Köhn vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie zeigte auf, daß Wachstumsprozesse Umwelterfolge zunichte machen. Der wachsende Flugtourismus schlucke längst die technischen Fortschritte bei der Reduktion des Treibstoffverbrauchs, meinte die Fachfrau. Weil die Steigerungen im Flugverkehr vor allem auf mehr touristische Flugreisen zurückgehen, erweist sich die touristische Industrie letztlich als Motor für Klimaschädigung und Ressourcenübernutzung. Was viele nicht wissen: 90 Prozent des touristischen Ressourcenverbrauchs entstehen durch An- und Abreise. Die Debatten um Nachhaltigkeit müßten die Verkehrsaufkommen mit einbeziehen, mahnte Ady Köhn.

Beim Thema „Dienstleistungsliberalisierung im Welthandel“ ist der Kenntnisstand der Fachleute offenbar noch gering. Bedeutet GATS (Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) nun Dampfwalzenkapitalismus, der Ansätze nachhaltigen Wirtschaftens in Entwicklungsländern zunichte machen wird? Werden die wirtschaftlich schwachen Länder diskriminiert? GATS heißt, daß seit Anfang dieses Jahres die Unterzeichnerländer des Abkommens ihre Märkte für ausländische Akteure offenhalten und sie mit nationalen Anbietern gleichstellen müssen. Ob es sich dabei um einheimische Reiseführer oder um die einheimische Hotellerie handelt: sie dürfen nicht mehr bevorzugt werden. Internationalen Großinvestoren könnten somit Tür und Tor offenstehen – weltweit. „GATS macht angst, weil es überschätzt wird“, meinte jedoch Wolfgang Schmitt, Abgeordneter der Grünen. Überschätzt von beiden Seiten: der Wirtschaft und den Kritikern. Letztere wie Martin Stäbler von Tourism Watch, fürchten in der Tat den uneingeschränkten Kapitalverkehr, denn sie erwarten davon die Einschränkung der politischen Entscheidungs- und Handlungsspielräume in Entwicklungsländern.

Angesichts neuer internationaler Verflechtungen wirkte es nicht gerade beruhigend, daß Wolf Michael Iwand, der Umweltbeauftragte der TUI, Verantwortungsbewußtsein und ökologische Handlungsbereitschaft demonstrieren wollte. Er wirkte unglaubwürdig. Die TUI, Europas größter Reisekonzern, betreibe derzeit einen ruinösen Preiswettbewerb, um den Schweizer Markt zu entern, erklärte Christine Plüss vom Schweizer „Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung“. Sie ging den TUI- Mann hart an: „Warum kommen Sie nicht mit umweltfreundlichen Angeboten auf den Markt? Immerhin haben Untersuchungen nachgewiesen, daß wir ein Kundenpotential von 20 Prozent umweltsensiblen Touristen haben.“ Christine Plüss hatte TUI-Kataloge durchforstet, sie monierte die Koppelung von Pauschalarrangements mit Leih-Pkws, sie verwies auf die exzessive Werbung für Flugreisen – alles Angebote, die nicht geeignet sind, das Umweltbewußtsein zu stimulieren. Und stimmt es denn wirklich, daß Golfspielen, wie der Mann von der TUI behauptete, „ein geradezu sensationeller Sport ist, der die Menschen in einer Form an Natur heranführt, die es sonst nicht gibt?“ „Die 160 spanischen Golfplätze brauchen so viel Wasser wie eine Drei-Millionen-Einwohner- Stadt“, konterte Plüss. Der Journalist Jürgen Hahnefeld resümierte: „Die TUI läßt kein umweltschädliches Angebot aus – sie stellt bloß ein grünes Kästchen mit Umweltinformationen daneben.“

Daß die Selbstverpflichtungserklärungen der Industrie bislang nichts gebracht haben, meinte auch der grüne Politiker Wolfgang Kreissl-Dörfler. Doch was fangen nun die Politiker mit ihrer Verantwortlichkeit an? Mit den neuen „Eckpunkten zur internationalen Tourismuspolitik“, die Halo Saibold, grüne Vorsitzende des Ausschusses für Fremdenverkehr im Bundestag, zur Diskussion stellte, soll ein „dynamischer Prozeß“ eingeleitet werden. In drei Bereichen wollen die Grünen politisch Einfluß nehmen: Innerhalb der Tourismusplanung soll sich das „Entsenderland“ Deutschland stärker einmischen und NGOs unterstützen, damit auch in anderen Ländern partizipatorische Prozesse gewährleistet werden; im Bereich der internationalen Abkommen wollen sie darauf hinarbeiten, daß Vereinbarungen wie die „Charta von Lanzarote“ (1995) verbindlich werden, dritter Punkt ist die Preisgestaltung: die Grünen bestehen auf der Kerosinsteuer. „Flugreisen sind nicht billig – sie kosten im Moment nur wenig“, so Halo Saibold. Sie kosten zu wenig, wenn die Meßlatte gerechte Preise sind. Wichtigster Punkt sind jedoch die „bewußtseinsbildenden Maßnahmen“. Und das heißt Einfluß nehmen auf die gesellschaftliche Debatte über Lebensstile. Statt „weiter – öfter – billiger“ wünschen sich die Grünen das Motto: „seltener – länger – intensiver“. Vielleicht, so die Hoffnung, wird ja eines Tages auch das Nichtreisen chic. Allen Prognosen zum Trotz.