„Ich bin zu gerecht“

Zaires Rebellenchef Kabila auf Tour: Er nennt sich Hoffnungsbringer, aber Präsident will er nicht sein  ■ Aus Mbuji-Mayi Andrea König

Im Stadion von Mbuji-Mayi warten Zehntausende auf ihren neuen Chef. Die Ansprache wurde auf zehn Uhr früh festgelegt, aber das Mikrofon funktioniert nicht. Nach einer Stunde skandiert die Menge: „Das ist Miba!“: Schuld sei die Direktion der örtlichen Diamantenmine.

Zwei Stunden später ist es soweit. Laurent-Désiré Kabila richtet sich an das Volk. Der Chef der zairischen Rebellen wettert gegen Mobutu. Dann schreitet das Stadion zur Wahl eines neuen Provinzgouverneurs. Die Menge soll Namen auf Zettel schreiben und die dann den Kommissaren der Rebellenregierung geben.

Zwanzig Namen stehen schließlich auf der Liste. Dann wird jeder Kandidat auf die Bühne gerufen. Noch während sie die Treppe hochsteigen, ist das „Nein! Nein! Nein!“ nicht zu überhören. Schließlich wird der örtliche Vizepräsident der Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt (UDPS), die in Mbuji-Mayi besonders starke zairische Oppositionspartei, unter Gejohle, Gejubel und mit zehntausend Händen in der Luft zum Gouverneur gewählt.

Draußen vor dem Stadion haben sich ebenfalls eine Menge Leute versammelt. Sie haben drinnen keinen Platz gefunden und meinen: „Ist das nun Demokratie, daß zehntausend bestimmen, wer regiert? Warum kann man nicht Wahlen abhalten und alle fragen?“ In Mbuji-Mayi, Hauptstadt der zentralzairischen Provinz Ostkasai, ist Unmut gegenüber Kabilas Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Ex-Zaire (AFDL) zu spüren. Als Kabila zum erstenmal hier eintraf, kamen nur 2.000 Menschen. Und sie tanzten und sangen zu seiner Begrüßung mit Postern von Etienne Tshisekedi – Chef der UDPS, beheimatet in dieser Region, zugleich Oppositionsführer in Zaires Hauptstadt Kinshasa und damit potentieller Rivale Kabilas.

In einem Gästehaus der Miba antwortet Kabila später auf die Frage der taz, ob er sich besondere Mühe gäbe, um die Bevölkerung in Tshisekedis Hochburg Mbuji- Mayi für sich zu gewinnen: „Absolut nicht. Ich habe den Menschen hier die Botschaft der Allianz erklärt, und wir haben alle gesehen, wie die Leute darauf reagiert haben: Sie wollen einen Wandel, und dies zusammen mit der AFDL. Sie unterstützen uns, und sie kommen von selber zu uns.“

„Ich bin nicht zum Staatschef gemacht“

Kabila scheint im Moment nicht mit der zivilen Opposition Zaires verhandeln zu wollen und begründet dies so: Es gebe nichts zu verhandeln. Die Parteien seien Gefangene des Mobutu-Systems und hätten keine Macht abzugeben. Die Wahl von UDPS-Politikern zu Gouverneuren in Mbuji-Mayi und auch in Kisangani, Hauptstadt der nordöstlichen Provinz Oberzaire, läßt aber darauf schließen, daß Kabila die Opposition auf seine Art einbinden will – auch wenn er in den von ihm kontrollierten Gebieten die Parteien suspendiert hat. Nicht nur darin erinnert die AFDL-Politik an die Kein-Parteien-Demokratie in Uganda, dessen Präsident Yoweri Museveni mit Kabila verbündet ist – auch die zentralistischen Tendenzen ähneln sich. Ebenso wie für Museveni steht der Föderalismus – also die Bildung eines Bundesstaates – für Kabila nicht an oberster Stelle möglicher zukünftiger Regierungsformen: „Wir werden dem Volk mehrere Vorschläge unterbreiten. Ich weiß noch nicht, was das Volk will. Letztlich wird das Volk über die künftige Regierungsform bestimmen. Während der sogenannten Nationalkonferenz wollten Mobutus Leute aus Zaire einen föderalen Staat machen. Aber das war von ihnen ein taktischer Schachzug, um das Land in kleine Königreiche zu teilen und sich so die Macht zu erhalten. Föderalismus ist kein Heilmittel für die Situation, die die Mobutisten in diesem Land geschaffen haben.“

Damit wird auch Kabilas Anlehnung an die nationalistische Ideologie Patrice Lumumbas deutlich – der erste Premierminister des Landes, der das frühere Kongo 1960 in die Unabhängigkeit führte, 1961 ermordet wurde und seitdem als Nationalheld gilt. Versteht sich der Rebellenchef als Erbe Lumumbas? „Das sagen die Leute im Land“, meint Kabila. „Betrachte ich mich als Erbe Lumumbas? Nein – ich betrachte mich als gar nichts. Ich glaube, ich gebe den Leuten Hoffnung, daß die beschämende Ausbeutung und die Armut ein Ende haben. Das ist es. Deshalb sage ich auch immer: Ich bin nicht zum Staatschef gemacht. Ich bin zu gerecht. Ich liebe die Gerechtigkeit. Ich vergesse mich als Individuum völlig. Nur so kann ich all diese Opfer auf mich nehmen.“

Kabila gilt in Zaire als der einzige, der den Drachen Mobutu töten kann. Dennoch hat er in der AFDL nicht allein das Sagen. Zu sehr ist er, der aus der Südprovinz Katanga stammt, von den Banyamulenge-Tutsi aus Ostzaire abhängig, deren bewaffnete Revolte der Gründung der AFDL zugrunde liegt. Die Präsenz von Tutsi-Soldaten im Umfeld von Kabila ist überdeutlich. Seine Leibwächter sprechen Swahili und nur in den seltensten Fällen französisch; mit undurchdringlicher Miene führen sie ihre Befehle aus, als wären sie Roboter. Sie sind es gewohnt, daß ihre Haltung Respekt, wenn nicht gar Angst einflößt; nie erheben sie ihre Stimme oder drohen gar mit ihren Gewehren. Bei Kabilas öffentlichen Auftritten bilden sie einen undurchdringlichen Ring um die Tribüne, und da schaffen sie sich auch gern handgreiflich Platz.

Immer wieder wird spekuliert, woher diese harten Typen wohl kommen. Eine geläufige Hypothese: Es seien ruandische und burundische Soldaten. Einige Journalisten wollen auch das eine oder andere Gesicht schon in Ruanda oder Burundi gesehen haben. Beweise gibt es nicht. Als die Soldaten in Mbuji-Mayi die Menge von der Einfahrt zu Kabilas Residenz wegtreiben, schallt ihnen entgegen: „Sprecht französisch!“ Ein Zairer sagt: „Es ist herrlich, daß Kabila da ist, aber seine Soldaten sollen wieder gehen.“

„Wir haben regionale Unterstützung erhalten – politische Unterstützung und Sympathie“, sagt Kabila dazu. Die Frage bleibt, ob die AFDL die Geister, die sie rief, auch wieder loswerden kann. Militärisch ist die Allianz auf die „regionale Sympathie“ angewiesen. Politisch muß sie sich erst noch verankern. Dazu weiß Kabila bisher nur: „Eines Tages wird es Wahlen geben, aber sicher nicht die Art Wahlen, die Mobutu veranstalten wollte. Mobutisten, die Wahlen organisieren? Nein, so was wird es nicht mehr geben.“