Im Schatten der hohen Häuser

taz-Serie „Brennpunkt Masterplan“ (Teil 8): Auf der Fischerinsel in Mitte sollen Blöcke für Wohnen, Büros und Geschäfte die sechs Hochhäuser umzingeln. Der Bezirk will die Grünflächen aufwerten  ■ Von Rolf Lautenschläger

In der „Fischerhütte“, der provisorischen Trinkhalle im Schatten der grauen Hochhäuser auf der Fischerinsel, stehen die Experten in Sachen städtebauliche Kritik des Quartiers schon mittags zusammen. „Was hier fehlt, ist doch klar“, sagt der mit der Bierdose. „Eine Kneipe muß her. Das Ahornblatt hat dichtgemacht. Und ein paar Geschäfte fehlen auch.“ So was müßte gebaut werden. „Was willste denn hier bauen?“ kontert sein Nachbar. „Viel besser wäre es, wenn die das Grün mehr pflegten, damit das nicht so kahl bleibt zwischen den Hochhäusern.“ Und der Dritte im Bunde erklärt grinsend: „Drüben hast du doch Grün und dazwischen lauter Parkplätze.“

Die Experten aus der Trinkhalle liegen trotz leicht verschwommenen Blicks nicht so falsch mit ihrer Meinung über die Fischerinsel. Was die rund 2.500 Bewohner der sechs Hochhäuser zwischen Gertraudenstraße und Spree am meisten stört, sind weniger die 22geschossigen Plattenbauten aus den sechziger Jahren als vielmehr der triste Freiraum und die fehlenden Infrastruktureinrichtungen zwischen den Türmen: Das bißchen Grün zu Füßen der Hochhäuser und entlang der Uferzone reicht für die Bewohner nicht aus, ist doch die Mehrzahl der freien Flächen für Autostellplätze reserviert. Und auch die vorhandene Schwimmhalle, der Bäcker- und der Blumenladen, der Zeitungskiosk, die beiden Kitariegel und der Supermarkt bilden zwar urbane Fixpunkte in dem großen Wohngebiet, für ein „brummendes“ Quartier und differenzierte Nutzungsansprüche sind sie aber zu marginal.

„Um hier Leben reinzubringen und mehr Geld verdienen zu können, müßten unbedingt Läden und Kneipen, Geschäfte und Büros entlang der Gertraudenstraße gebaut werden“, sagt André aus dem Videoladen. „Ein reines Wohngebiet ohne zusätzliche Nutzungen und Laufkundschaft bringt für das Geschäft nicht viel. Der Laden läuft so lala.“ Die 30 Mark Miete, die er pro Quadratmeter bezahlen muß, „sind die obere Grenze“. Die geplante Verkleidung der Hochhausfassaden und die Modernisierung der Fenster sowie der Haustechnik, die von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte seit 1990 für 35 Millionen Mark in Angriff genommen wurden, hält er zwar für „nicht schlecht“. „Aber insgesamt bringt das dem Viertel kaum was.“ Die Bewohner gingen zum Einkaufen lieber zum Alexanderplatz oder in die Leipziger Straße. „Da ist doch tote Hose“, sagt André und ordnet ein paar Kassetten. Für wen?

Inge Kapphahn, die seit 20 Jahren auf der Fischerinsel Nummer 5 wohnt und mittags immer den Hund rausbringt, teilt zwar die Ansicht des Videoverkäufers bezüglich der fehlenden Einkaufsmöglichkeiten in den Basisgeschossen des Hochhausquartiers. Die Verdichtung mit neuen Geschäften oder gar die Masterplanung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hält sie hingegen für „Mist“. Da werde doch das wenige Grün überbaut; die an der Gertraudenstraße vorgesehenen Gebäude und die teuren Wohnhäuser am Kanal zerstörten die bestehende Struktur im Fischerkiez. „Bevor die alles ummodeln, bin ich eher dafür, daß alles so bleibt“, poltert sie gegen die „Kulturlosigkeit der Politiker“. Die seien doch verantwortlich für die Schließung des Restaurants Ahornblatt und auf die Schwimmhalle hätten sie es ebenfalls abgesehen.

Für die Schließung des Ahornblatts sind die Masterplaner nicht verantwortlich, und einen Abriß der Schwimmhalle sieht das „Planwerk Innenstadt“ – noch – nicht vor. Gleichwohl haben die Autoren des Planwerks, Dieter Hoffmann-Axthelm und Bernd Albers, die Monostruktur und den geschichtslosen Stadtgrundriß auf der Fischerinsel ins Auge gefaßt.

Geht es nach ihren Vorstellungen, so sollen die sechs Hochhäuser von vier- bis sechsgeschossigen Blöcken für Büros, Geschäfte und Wohnbauten umzingelt werden. An der Roßstraße ist ein ganzer Wohnhof geplant – ebenso massiv greifen die Pläne für Geschäfte und Büros an der Grünstraße in den Bestand ein. Durch das Hochhausquartier, das bislang nur die Roßstraße zerschneidet, legt das Planwerk Innenstadt gleich drei Straßen. Als Clou der Planung und zugleich als Reminiszenz an die historische Bebauung entlang der früheren Friedrichsgracht entwarfen Hoffmann-Axthelm und Albers kleinteilige Häuserreihen für „neues Wohnen im Fischerkiez“. „Der vorliegende Plan“, so Hoffmann-Axthelm, „schiebt in die vorhandene Schicht des Bestandes eine zweite, aktuelle Schicht, die historische Elemente aufnimmt und also als Behälter der Erinnerung fungiert.“ Außerdem soll durch die neue Bebauung ein funktionales und ästhetisches „Spannungsverhältnis“ zu den Türmen entstehen.

Daß der Masterplan für die Fischerinsel mit ihren kleinen nostalgischen Häuschen aus der Puppenstube, wie der Architekturkritiker Bruno Flierl einmal bemerkte, nicht nur die Stadtplaner auf die Palme bringt, ist eine Sache. Der Fischerkiez, stellen die Architekten Kny und Weber in einem gerade veröffentlichtem Gutachten für das Bezirksamt Mitte fest, dürfe nicht auf der Grundlage historisierender Bilder weitergebaut werden, sondern könne nur aus der vorhandenen Struktur heraus entwickelt werden.

Kny und Weber schlagen deshalb in vier Varianten mögliche Bebauungen vor. Diese orientieren sich aber an der aufgelockerten Struktur des bestehenden Hochhausensembles – jener DDR-Moderne, die als Reaktion auf das Westberliner Hansaviertel und das Springer-Hochhaus entstand – und nicht an totaler Verdichtung.

Eine andere Sache ist, daß der Masterplan besonders mit der Wohnbebauung am Ufer auch eine „neue Schicht“ von potenten Bewohnern und Geschäftsleuten unter die bestehende mischt. Von der Idee Hoffmann- Axthelms und Albers', „mit kleinen Baulosen für individuelle und mittelständische Bauherren zu experimentieren“, ist deshalb Baustadträtin Karin Baumert nicht überzeugt. Sie fürchtet, daß die Hochhausmieter quasi zu Bewohnern zweiter Klasse degradiert und notwendige Grünflächen geopfert würden. „Es kann nicht sein, daß über die Fischerinsel einfach eine neue soziale und bauliche Struktur gelegt wird und zugleich die Uferzone verbaut wird. Diese muß Freiraum bleiben.“ Dennoch ist Baumert mit ihrer Bereichsentwicklungsplanung nicht gegen Veränderungen auf der Fischerinsel. Doch die Prioritäten setzt sie anders als der Masterplan.

Schwerpunkt ihrer Überlegungen sind der Bestand der sechs Hochhäuser und die Freiflächen. „Es ist doch ganz klar, daß die Stellflächen für Autos und das Grün um die Erdgeschoßzonen nicht besonders schön sind und diese wenig genutzt werden.“ Die Flächen seien „uneffizient und sollten aufgelöst werden. „Die Qualifizierung“, so Baumert, „beinhaltet aber, daß wir die Grünflächen zu einer Parkanlage umgestalten müssen, die sich wirklich ökologisch gibt.“

Die Baustadträtin will zwar das „Wohngebiet Fischerkiez“ als solches erhalten. Zugleich plädiert sie aber auch für die Bebauung entlang der Leipziger Straße mit einer Häuserzeile für Geschäfte und Büros, um das Viertel „aufzuwerten“. Baumert schreckt auch nicht davor zurück, das leerstehende Ahornblatt „zu thematisieren“. Das bedeutet, daß bei einer Entscheidung über die Zukunft des Fischerkiezes der Abriß oder Umbau der einstigen DDR-Betriebsgaststätte ins Auge gefaßt werden könnte.

Auf das Ahornblatt haben es auch die Gutachter Kny und Weber in ihrer „Varianten-Studie“ abgesehen. Neben zahlreichen Parkflächen, die beide vorschlagen, sollte dort das zukünftige „Zentrum“ der Fischerinsel entstehen: entweder als hoher Rundbau oder als Einkaufsriegel oder als Block. Der Standort bildet quasi den Eingang zu dem Quartier.

Den drei Trinkern aus der Fischerhütte wäre eine solche Entwicklung auf dem Areal des Ahornblatts ziemlich schnuppe. „Hauptsache, der Preis fürs Bier stimmt dann noch“, befinden sie zu einer möglichen städtebaulichen Veränderung der Fischerinsel. Daß aber gerade dies der Knackpunkt sein wird, steht für Karin Baumert jetzt schon fest. Die Vorstellung, für teures Geld am Ufer zu wohnen, „paßt doch einigen gut ins Konzept“. Die Flächen, die dem Land Berlin gehören und auf denen derzeit zwei Kindertagesstätten stehen, seien eine Goldgrube. Bleibt der Rest dann die andere Seite der Medaille?

Am Donnerstag, dem 24.4., findet um 19 Uhr in der Kongreßhalle am Alexanderplatz eine Veranstaltung zum Thema Bereichsentwicklungsplanung Mitte statt.