Sterberichtlinien erlauben Tod durch Verhungern

■ Der neue Verhaltenskodex für Ärzte soll noch diese Woche verabschiedet werden

Nach über einjähriger Beratung hinter verschlossenen Türen soll es am Freitag soweit sein: Der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) will neue „Richtlinien zur ärztlichen Sterbebegleitung und zur Behandlungsbegrenzung“ verabschieden. Die Beschlußvorlage, die von der Kölner BÄK-Zentrale offiziell unter Verschluß gehalten wird und der taz vorliegt, betrifft nicht nur Sterbende. Erstmals ermächtigt der geplante Verhaltenskodex MedizinerInnen, „lebenserhaltende Maßnahmen“ auch bei Menschen abzubrechen, die sich überhaupt nicht im Sterbeprozeß befinden, namentlich bei PatientInnen im apallischen Syndrom (Wachkoma). Die todbringende Unterlassung ist gemäß Richtlinientext „nur dann zulässig, wenn dies dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht“.

Die sieben vom BÄK-Vorstand beauftragten Autoren des Entwurfs lassen durchblicken, daß die Ermittlung des „mutmaßlichen Willens des bewußtlosen Patienten in der konkreten Situation“ alles andere als einfach ist. „Der mutmaßliche Wille“, heißt es nebulös, „ist aus den Gesamtumständen zu ermitteln“, besonders bedeutsam sei hierbei eine frühere persönliche Erklärung, etwa ein „Patiententestament“ oder eine „Betreuungsverfügung“. Nach geltender Rechtslage binden solche Schriftstücke den Arzt allerdings nicht, und so sehen es auch die neuen Richtlinien vor: Der Arzt hat vorliegende Erklärungen lediglich „verantwortungsvoll zu beachten“.

Sofern der mutmaßliche Wille für einen Arzt nicht erkennbar sei, soll er darüber hinaus anregen, einen Betreuer zu bestellen, der im Auftrag des Bewußtlosen agieren soll. Verlangt der Betreuer einen Abbruch der Behandlung, müsse dieses Votum durch ein Vormundschaftsgericht bestätigt werden. Damit würden Richter zu Herren über Tod und Leben: Sie müssen entscheiden, ob komatöse PatientInnen sterben sollen oder die Chance zur Genesung behalten.

Zwei weitere Ausnahmen von der „ärztlichen Verpflichtung zur Lebenserhaltung“ läßt der Richtlinienentwurf zu. Für „Neugeborene, die mit dem Leben nicht zu vereinbarende Mißbildungen aufweisen“, sollen ihre gesetzlichen VertreterInnen entscheiden, ob sie behandelt werden sollen. Und auch bei Menschen, die als „unheilbar krank“ eingestuft werden, könne ein Behandlungsverzicht gerechtfertigt sein. Wem bescheinigt wird, sein Zustand sei aussichtslos, seine Krankheit schreite rasch voran, und das Fortsetzen einer belastenden Therapie bringe keine Hilfe, bei dem dürfen ÄrztInnen künftig „lebensverlängernde Maßnahmen“ einstellen. Welche damit konkret gemeint sind und wer die folgenschwere Prognose trifft, sagt der Text nicht; er stellt aber klar, daß auch unheilbar Kranke Anspruch auf Zuwendung, Körperpflege, Schmerzlinderung und natürliche Ernährung haben. Dagegen zählt das BÄK- Papier die „künstliche Ernährung“, zu der die medizinische Fachliteratur auch Ernährung per Magensonde rechnet, ausdrücklich nicht zu jener „Basishilfe“, die keinem unheilbar Kranken verweigert werden darf. PatientInnen, denen die Magensonde entfernt wird, droht der Tod durch Verhungern. Klaus-Peter Görlitzer