Keine Türme, kein Natodraht

■ Was das neue Frauen- von einem Männergefängnis unterscheidet: Die Leiterin des neuen Frauengefängnisses auf Hahnöfersand, Dr. Hilde van den Boogaart, im taz-Interview

taz: Wird das neue Frauengefängnis anders aussehen als ein Knast, in dem auch Männer einsitzen?

Hilde van den Boogaart: Bei Frauen ist ein geringerer Sicherheitsstandard erforderlich als bei Männern. Man kann moderater bleiben, was sich auch auf die Atmosphäre auswirken wird.

Wieso reicht der geringere Sicherheitsstandard?

Frauen brechen so gut wie nie aus. Zwar kommen auch sie mal aus dem Hafturlaub oder vom Ausgang nicht zurück. Aber es gibt nur ganz selten eine strategische Ausbruchsplanung. Frauen graben nicht spektakulär Tunnel oder bauen Leitern.

Wie sehen die Sicherheitsvorkehrungen im neuen Frauenknast aus?

Das Gefängnis wird nur von einem schlichten Zaun umgeben sein. Ohne Elektronik, keine Türme, kein Natodraht. Wir vernachlässigen die Sicherheit nicht, aber wir werden nicht, wie beim Männervollzug, einen Draht auf den nächsten stapeln.

Unterscheidet sich das Konzept vom Männervollzug?

Frauen haben ein höheres Kommunikationsbedürfnis als Männer. Viele bringen Gewalterfahrungen mit, waren sehr oft selbst Opfer. Ein Teil der Frauen hat mit dem Körper Geld verdient. Auf all das müssen wir unser Beratungs- und Freizeitangebot ausrichten.

Reagieren Frauen anders auf die Haftsituation als Männer?

Viele richten ihre Aggressionen eher nach innen als nach außen, reagieren eher depressiv. Sicher, auch Frauen werden mal laut oder schlagen sich. Häufiger aber hängen sie in den Seilen und müssen motiviert werden. Das wird unsere Aufgabe sein.

Begehen Frauen andere Straftaten als Männer?

Der Anteil der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ist sehr viel geringer. Frauen begehen mehr Diebstähle und Betrügereien. Und töten sie tatsächlich einmal, dann fast ausschließlich in ihrem Nahbereich, im unmittelbaren sozialen Umfeld.

Und wie sieht das mit Eigentumsdelikten aus – Diebstahl als Ausdruck finanzieller Not?

Die gesellschaftliche Armut drückt sich bei Frauen verschärfter aus als bei Männern. Ich halte es für möglich, daß die Quote der Armutskriminalität höher ist. Mehr als die Hälfte aller weiblichen Gefangenen hat zwar einen Schulabschluß, und rund 30 Prozent von ihnen haben eine Lehre abgeschlossen. Aber den Zugang zum Arbeitsmarkt finden Frauen danach nur selten. Hier muß das Frauengefängnis auch konzeptionell bei den Qualifizierungsmaß-nahmen ansetzen.

Ist es Zufall oder eine bewußte Entscheidung, daß eine Frau das Gefängnis leiten wird?

Es war gewünscht, daß eine Frau das Gefängnis leitet, wenn auch nicht dogmatisch gesagt wurde, daß es auf keinen Fall ein Mann sein darf. Fragen: Elke Spanner