■ Vorschlag
: Was für Mauerspringer: Laura Ruggeris lineare Stadtrundgänge

Der Mittvierziger mit rotgefrorener Nase und blauem Hut grinst feist: „Gibt's was umsonst?“ Und – schließlich ist es halb vier Uhr nachmittags: „Kaffee und Kuchen?“ Kurz darauf will der Nächste wissen: „Haben Sie Stadtpläne?“ Fragen dieser Art hört die 32jährige Künstlerin Laura Ruggeri derzeit oft. Und die Leute liegen damit bei ihr noch nicht mal ganz falsch. Die gebürtige Mailänderin, seit letztem Sommer Stipendiatin im Künstlerhaus Bethanien, bietet in ihrem Container vor dem Palast der Republik Stadtrundgänge an – Stadtrundgänge der besonderen Art. Vor ihr auf dem Tisch stapeln sich bunte Plastiktafeln in geometrischen Figuren: Kreis, Dreieck, Rechteck und Trapez. Wer eine Tour durch die Stadt unternehmen möchte, drückt eine dieser Formen auf einen Ausschnitt aus einer Berlin-Karte im großformatigen Maßstab 1:10.000, fährt mit dem Filzstift einmal drum herum, fertig ist die Route.

Je nach Größe und Form variiert die Länge eines Spaziergangs zwischen drei Stunden und zwei Tagen. „Der Stadtrundgänger“, heißt es in der beigefügten Erklärung, „kann sich entweder strikt an die aufgezeichnete Vorlage halten (was bedeuten kann, den Fluß im Kanu zu überqueren, über Mauern zu klettern oder in Hinterhöfe einzudringen) oder aber von der Route abweichen, um Hindernisse zu umgehen.“ Bei Selbstversuchen diesen Winter in Marzahn stand Ruggeri vor allem vor dem Problem Hochhaus: Sie stolperte durch Treppenaufgänge, klingelte an fremden Wohnungstüren – und wurde so gut wie immer hereingelassen.

Vor 20 Jahren realisierte der Bildhauer Gordon Matta-Clark, einer der Begründer der amerikanischen Land-Art, im belgischen Antwerpen eines seiner komplexesten Werke. In tagelanger Arbeit zersägten er und seine Helfer nach Maßgabe eines komplizierten linearen Musters ein mehrstöckiges Bürogebäude. Bei Ruggeri, die sich der Tradition Matta-Clarks durchaus verpflichtet fühlt, wickelt sich das Ganze weniger brachial ab. Was bleibt, ist ein ungewohnter Blick auf das, was die Stadt zur Stadt macht – selbst wenn man Ruggeris Touren nur im Geist durchspielt. Ulrich Clewing

Bis 11.5., Mi.-So. 14-18 Uhr, Schloßplatz Ecke Rathausstraße,

vom 22.5. bis 5.6. im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz