Keine Angst vor Chicagos Bullen

■ Washington Bullets qualifizieren sich als letztes Team für die Play-offs der NBA

Berlin (taz) – „Seit dem College hatten wir nicht mehr so ein großes Spiel“, freute sich Washingtons Juwan Howard, nachdem die Bullets durch ein 85:81 gegen Cleveland den Einzug in die Play-offs der Basketball-Liga NBA geschafft hatten. Howards „wir“ schloß Teamkollege Chris Webber ein, mit dem er in der Mannschaft Michigans zweimal den Einzug ins College-Finale geschafft, aber jedesmal verloren hatte. Webber trug mit 23 Punkten und 17 Rebounds gegen die Cavaliers maßgeblich zum ersten Play-off-Auftritt Washingtons seit neun Jahren bei. Die Freude der Bullets könnte allerdings verdammt kurz sein, denn als Achter der Eastern Conference müssen sie am Freitag im ersten Match bei den Chicago Bulls antreten. Abe Pollin, Besitzer des Hauptstadt-Teams, gibt sich dennoch zuversichtlich: „Diese Jungs sind noch nicht am Ende. Sie fangen jetzt erst an.“ Vor einer Woche wäre die Vorstellung, daß die Bullets Michael Jordan und seinen Mannen gefährlich werden könnten, noch der Auslöser gewaltigen Gelächters gewesen, doch inzwischen scheint Pollins Optimismus nicht mehr ganz so unbegründet. Von ihren letzten vier Saisonspielen verloren die Bulls drei, und zu den 13 Teams, die gegen den Meister gewinnen konnten, zählt auch Washington. Anfang April siegten sie mit 110:102 und profitierten dabei vor allem von der verletzungsbedingten Abwesenheit Dennis Rodmans. Bei den Rebounds dominierten sie mit 46:29.

Rodman, der mit einem Schnitt von 16,1 seinen sechsten Rebound- Titel in Folge holte, ist in den Play- offs wieder dabei. „Zeit für die Party“, sagt das buntbehaarte Kraftpaket, und viel wird für die Bulls davon abhängen, ob Rodman bis zum Ende der Festlichkeiten durchhält. Nach seiner langen Sperre wegen ungebührlichen Fußtritts in die unteren Regionen eines Kameramannes hatte es allgemeine Verwunderung ausgelöst, daß sich die Bulls nicht noch vor Transferschluß einen starken Rebounder besorgt hatten. Schließlich war klar, daß die nächste Verfehlung Rodmans Ausschluß aus der NBA bedeuten würde.

„Jeder, der denkt, sie sind in Schwierigkeiten, macht einen gewaltigen Fehler“, warnt Jeff van Gundy, Coach der New York Knicks. Da auch Toni Kukoc trotz schmerzenden Fußes wieder auflaufen will, kann Phil Jackson fast seine Bestbesetzung aufbieten. Ein Alptraum für jeden Gegner. „Wenn wir unsere volle Stärke haben“, sagt Michael Jordan, „denke ich, daß jeder weiß, wie gut wir zusammenspielen können.“

In der Western Conference verpaßten die Los Angeles Lakers durch ein 96:100 gegen die Portland Trail Blazers nicht nur den zweiten Platz hinter Utah Jazz, sondern fielen sogar auf Platz vier zurück und müssen jetzt gegen jenes Team aus Portland antreten, gegen das sie von vier Spielen drei verloren haben. „Diese Kerle wollten uns in der ersten Runde, und sie haben uns bekommen“, grämt sich Shaquille O'Neal, der beim Stand von 96:98 Sekunden vor Schluß zwei Freiwürfe vergab.

Michael Jordan holte sich mit einem Schnitt von 29,6 Punkten wie gewohnt den Titel des Topscorers, blieb allerdings erstmals seit seiner Rookie-Saison unter 30. Eine Ablösung gab es in der Kategorie der Assists. Utahs John Stockton, der in den letzten neun Spielzeiten vorn gelegen hatte, mußte Mark Jackson (Denver/Indiana), der es auf 11,4 Assists pro Spiel brachte, an sich vorbeiziehen lassen. Bleibt die Frage nach dem „Most Valuable Player“ (MVP) der Spielzeit und nach dem „Rookie of the year“. Als MVP möchten viele Fachleute diesmal nicht Michael Jordan, sondern den unglaublich konstanten Scorer und Rebounder Karl Malone aus Utah sehen.

Noch mehr scheiden sich die Geister bei den Rookies. Dem aufregendsten Neuling, Allen Iverson aus Philadelphia, der bei Punkten und Assists zu den besten Point Guards der Liga gehört, werden mangelnder Respekt vor den Veteranen und Eigensinn vorgeworfen. Viele favorisieren Stephon Marbury, der bei den Minnesota Timberwolves auf ähnlich gute Zahlen kam, aber seine Mannschaft in ihre ersten Play-offs überhaupt führte. „Ich fühle, die Auszeichnung gehört mir“, sagt Iverson, aber auch, wenn er sie nicht erhält, wolle er der NBA nicht grollen. „Es war ein spaßiges Jahr, weil ich tun kann, was ich tue. Schließlich könnte ich auch im Gefängnis sein oder bei McDonald's arbeiten.“ Er weiß, wovon er redet: Mit 17 wurde Allen Iverson in Virginia nach einer Rauferei zu fünf Jahren verurteilt, von denen er vier Monate absitzen mußte. Matti Lieske