Autobahnen ganz privat

Traum von der Totalprivatisierung der Fernstraßen. Verkehrsministerium präsentiert Studie. Mautmodelle sollen den Weg ebnen  ■ Aus Hamburg Florian Marten

Die Reaktion kam prompt: Kaum hatte Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann die deutsche Autobahnlobby mit der Ankündigung in Aufruhr versetzt, sein Haus prüfe die Privatisierung vierspuriger Schnellstraßen, konterte der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber im Duett mit seinem baden-württembergischen Amtsbruder Erwin Teufel, die Maut sei out. Allein die Autobahnvignette könne die bundesdeutsche Tiefbauindustrie retten.

Beim Streit um Vignette oder Maut geht es um mehr als die Frage, wie die Löcher im Bundesstraßenetat zu stopfen seien. Tatsächlich stellt sich die Systemfrage: Soll der Staat seine Infrastruktur an Privatkonzerne verkaufen (Modell Wissmann), oder soll er durch zweckgebundene Gebühren sein Investitionsbudget fürs Auto aufstocken (Modell Stoiber/Teufel)?

Während die Südstaatenchefs an ihren Autobahnen festhalten, hat Matthias Wissmann, für neoliberale Einflüsterungen durchaus offen, längst ein ganz anderes Modell im Visier. Bei den „verkehrspolitischen Weichenstellungen mit langfristiger Bedeutung“, die Wissmanns Regierungsdirektoren Hugo Gratza und Wolfgang Hahn jüngst erarbeiteten, geht es um einen grundlegenden Systemwechsel. Das Ziel: Schon bald nach dem Jahr 2000 kostet jeder deutsche Autobahnkilometer für Pkw 8 und für Lkw 20 Pfennige. Eingezogen wird das Geld per Gebührenfunk, der die Smartcards in den Autobordcomputern abtastet.

Diese effiziente Methode, zunächst nur für schwere Lkw flächendeckend eingeführt, ist die Voraussetzung für die völlige Privatisierung des deutschen Autobahnnetzes. Über die Vergabe einzelner Strecken und den Aufbau privater regionaler Netzgesellschaften wird der Börsengang vorbereitet. Endpunkt der Privatisierung könnte eine private Monopolgesellschaft „Deutsche Autobahn AG“ sein. Experten raten aus Wettbewerbsgründen jedoch, konkurrierenden Autobahn-AGs den Vorzug zu geben.

Dieses Szenario der Autobahnzukunft entstammt keineswegs der blühenden Phantasie durchgeknallter Ministerialbeamter. Fast unbemerkt von der bundesdeutschen Öffentlichkeit erhielt der Großconsulter Roland Berger & Partner im Herbst 1993 einen ungewöhnlichen Gutachterauftrag des Bundesverkehrsministeriums. Die Aufgabe war, „im Spannungsfeld zwischen Infrastrukturbedarf und Finanzierungsengpässen Möglichkeiten für Privatisierungsschritte im Bereich der Bundesautobahnen und deren Vor- und Nachteile gegenüber dem herkömmlichen administrativen System zu untersuchen, um gegebenenfalls eine politische Entscheidung vorzubereiten“.

„Politische Vorgaben“, so erinnern sich Gratza und Hahn, „enthielt der Auftrag an Roland Berger nicht. Vielmehr sollten alle plausiblen Möglichkeiten von Privatisierungsschritten dargestellt, analysiert und bewertet werden.“ Nach fast dreijähriger Arbeit präsentierte der Consulter ein politisches Drehbuch von erheblicher Brisanz: Schrittweise solle „der Markt für Planung, Bau, Betrieb und Finanzierung von Autobahnen“ geöffnet werden. Parallel dazu müsse das System der Fernstraßenfinanzierung auf „nutzerfinanzierte Systeme mit netzweiten streckenbezogenen und zweckgebundenen Gebühren umgestellt werden“.

Elektronisches „Road Pricing“, auf der A 555 mittlerweile praktisch erprobt, solle zunächst bei Lkw, anschließend bei allen Fahrzeugen eingeführt werden. Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann hat die Anweisungen seiner Gutachter trotz einiger Pannen bislang buchstabengetreu befolgt: Nach der privaten Vorfinanzierung und Baubetreuung von zwölf Straßenbauvorhaben, darunter die umstrittene, 600 Millionen Mark teure Trasse der B 31 in Freiburg, schlug er jetzt 17 Projekte vor, bei denen Private auch den Betrieb und das Abkassieren übernehmen sollen. Auch die Strategie, bei „netzweiten Gebühren“ zunächst den Lkw auf die Pelle zu rücken, setzte Wissmann brav um.

Vom „elektronischen Road Pricing“ für alle, dem Herzstück einer Totalprivatisierung, ist man angesichts technischer Probleme noch weit entfernt. Zu denken gab Wissmann auch, daß „die Mehrheit der Bevölkerung und der Wirtschaft eine Privatisierung der Bundesautobahnen ablehnt“. Auch elektronisches Road Pricing stoße auf „erhebliche Akzeptanzprobleme“. Die schöne neue Autobahnwelt, die übrigens auch Grundgesetzveränderungen erfordern würde, soll der Öffentlichkeit deshalb löffelweise verabreicht werden. Der kompletten Privatvergabe einiger Teilstrecken, die „unter Einbeziehung von Bauwirtschaft und Banken“ bereits vorbereitet wird, zielt deshalb auf solche Strecken, bei denen man sich große Zustimmung verspricht und die anders nicht zu finanzieren wären.

In Ungarn hat eine solche Autobahnzukunft schon begonnen. Private westeuropäische Konsortien beherrschen seit 1993 als Konzessionäre große Teile des ungarischen Fernstraßennetzes. Zwischen 5 und 23 Pfennig kostet inzwischen der Autobahnkilometer, was ihn für Normalos unerschwinglich macht. Mit fatalen Folgen: Alte Landstraßen und Ortsdurchfahrten sind verstopft. Bürger und Bürgermeister protestieren. Als jetzt ein Bezirksgericht in Budapest die Konzessionäre der einst gebührenfreien Autobahn M 1 verdonnerte, ihre Gebühren zu senken, gingen sie in Berufung und stellten die Bauarbeiten an der neuen Westautobahn M 15 ein.