An einem Abend um die Welt

■ Lieder aus Frankreich, Japan, Tunesien, Haiti und dem Schtetl beim Festival „Women in (E)Motion“: Die sechs Frauen der Band „Évasion“begeisterten a-capella im KITO

Wahrscheinlich wußte am Montagabend das Gros des Publikums im KITO zunächst nicht, wofür es den Eintritt zahlte: „Évasion“? Nie gehört. Tatsächlich hat das aus sechs Frauen bestehende französische A-capella-Ensemble bereits die Stufen zum berühmten Pariser Olymp erklommen, hierzulande hingegen ist die Formation noch relativ unbekannt. Das aber wird sich nach ihren Auftritten beim derzeit stattfindenden „Women in (E)Motion“-Festival sicherlich ändern.

Schon mit ihrem ersten Stück versetzten die Sängerinnen ihr Publikum im Kito in höchstes Erstaunen. Fast hätte man meinen können, den etwa zehnmal so großen Chor der bulgarischen „voix mysteres“zu hören, so machtvoll trugen die sechs Frauen aus dem südfranzösischen Romans die schwierige, dissonant aufgebaute und doch so eingängig tiefe Melodie vor.

Derart in die Sessel gedrückt, entspannte sich das Publikum gern bei der direkt folgenden spielerischen, fast kindlichen Weise aus Zentralafrika, ebenso kunstvoll gesungen und mit viel Humor vorgetragen.

Kulturelle Vielfalt ist für „Évasion“Programm. Das Repertoire der Frauen, selbst französischer, portugiesischer, algerischer und italienischer Abstammung, ist den verschiedensten Kulturkreisen entnommen: Sie singen traditionelle sowie zeitgenössische Lieder aus der Ukraine, dem Libanon, Spanien, Japan, Portugal, Zentralafrika, Italien, Bulgarien, den USA, gälische und jiddische Stücke. Kein Stil scheint ihnen fremd, sie bewegen sich in der Welt der Gregorianik ebenso sicher und brillant wie in der Welt der Schlager, Lieder und Chansons.

Dabei scheint die Auswahl der im Laufe der Zeit gesammelten Stücke – die Gruppe ging vor elf Jahren aus einem Gesangswork-shop hervor – alles andere als beliebig. So erhielt das Resistance-Lied, mit großer Entschiedenheit vorgetragen, den Charakter eines gesungenen „Évasion“-Bekenntnisses.

Umso trauriger, daß die Texte, die laut dem Pressematerial von Widerstand handeln und Protest, von Leid und Hoffnung, von Zornigen und Verliebten, mit keinem Wort auf der Bühne erklärt wurden. War das nun ein japanisches Fischer- oder ein Gebetslied, beschrieb das litauische Stück den Alltag oder das haitianische den Sonntag?

Solche Zweifel hielten sich, obgleich die Frauen, darin stark an die belgische Formation „Zap Mama“erinnernd, ihren Gesang stets mit reicher Mimik und gekonnter Gestik begleiteten.

Schade auch, daß Gwenaelle Baudin, Sabrina Esseid, Anne Marie und Nathalie Ferreira, Laurence Giorgi und Hable Troudi sowie der einige Stücke dezent begleitende Pianist Norbert Paul sich auf der Bühne nicht gegenseitig vorstellten. Sie alle hätten ein Leben jenseits der Anonymität verdient.

Daß „Évasion“höchste Gesangskunst verkörpert, davon durfte sich das Publikum im KITO überzeugen. Hände klatschend und mit den Füßen stampfend forderte man Zugabe um Zugabe. Eine junge Zuhörerin war so begeistert, daß sie trotz knappen Geldes nach dem Konzert gleich beide CDs kaufen mußte – ihre ersten überhaupt. Live aber ist „Évasion“freilich ein besonderes Erlebnis. dah

Die Gruppe tritt heute abend um 20 Uhr in der Schauburg zum bestimmt nur vorläufig letzten Mal in Bremen auf