Talente werden ausgelagert

Wie Handballbundesligist SC Magdeburg versucht, demnächst richtig erfolgreich zu sein – ohne dafür die ostalgischen Gefühle ganz zu verkaufen  ■ Von Jörg Winterfeldt

Magdeburg (taz) – „Die Innenstadt am Bahnhof“, beschreibt Wolfgang Gütschow Magdeburg, „ist zwar eine einzige Baustelle, aber trotzdem ist die Stadt mit ihren idyllischen Fleckchen und der Elbinsel sehr schön.“ Neulich war er mit den französischen Handballnationalspielern Gueric Kervadec und Joäl Abati sowie dem russischen Werfer Vjatcheslav Atavin in der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt – rein beruflich: Der Pirmasenser Spielervermittler Gütschow hat die Profis beim Handballbundesligisten SC Magdeburg untergebracht und auch sich selbst auf der Grundlage eines dreijährigen Beratervertrages.

„Innerhalb der nächsten zwei Jahre“, kennt Gütschow den Vereinsanspruch an die Investitionen, „soll nun ein Titel her.“ Inoffiziell hätte es schneller gehen sollen, doch nach durchwachsener Saison wird es dem Tabellen-Neunten heute abend (20 Uhr) am vorletzten Bundesligaspieltag auch mit einem Sieg gegen den TV Niederwürzbach nicht mehr zur Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb reichen.

Bislang hatte man in Magdeburg den Kaufrausch der Kollegen skeptisch betrachtet. Nun, da der handballerische Aufschwung Ost ein wenig in Verzug geraten ist, haben sie sich angeschlossen, schließlich gilt es, ab Oktober die brandneue, 54 Millionen Mark teure Börde-Halle mit einer großzügigen Kapazität von 8.000 Plätzen auszubuchen. Menschen „von Berlin bis Leipzig und Braunschweig“ will der SCM-Manager Bernd- Uwe Hildebrandt anlocken. Weil die bisherigen Kräfte wie Winselmann, Lebiedzinski, Fiedler und Seidel den großen Erfolg nicht realisieren konnten, dürfen sie ihre Stelle nun für die Neuen räumen.

Der sportliche Ehrgeiz in Magdeburg birgt seine Gefahren: Geht die ambitionierte Rechnung mit dem internationalisierten Kader nicht auf, dem die originären Magdeburger weichen mußten, könnte mit dem Ende der ostalgischen Gefühle ein Verlust der Publikumsidentifikation mit dem Team nahen.

Deswegen bemüht sich Hildebrandt um die Aufwertung seines Ältestenrats mit Prominenten, die lokales Kolorit gewährleisten sollen. Das faßt er großzügig besonders weit: Der legendäre Wieland Schmidt muß jedesmal eigens aus Leipzig anreisen. Auch der Erwerb des Ostberliners Stefan Kretzschmar fällt in diese Kategorie. Andererseits nimmt Hildebrandt beschwörend die Finger zur Hilfe beim Aufzählen der verbliebenen lokal verwurzelten Werfer und verweist auf seine vorbildliche Jugendarbeit. Vier Mannschaften hatte man zuletzt in deutschen Nachwuchs-Endspielen; „jedes Jahr“, schwärmt er, „gewinnt mindestens eines unserer Teams einen Titel“. Damit widersetzt sich sein Klub einem allgemeinen Trend: „Für die meisten“, schimpft Hildebrandt, „ist die Nachwuchsarbeit doch zu teuer geworden.“

In Magdeburg investiert man 250.000 Mark pro Jahr in den Nachwuchs. Der Klub profitiert von der föderalstaatlichen Infrastruktur: Das Land Sachsen-Anhalt unterhält in seiner Hauptstadt eines der wenigen Sportgymnasien der Republik plus einer Realschule mit 700 Schülern. Dessen „Internatscharakter“ lobt der kommunale Sportdezernent Rüdiger Koch und „daß es als Institution überregional nachgefragt“ sei. Um die ambitionierten Talente anschließend nahtlos in die Elitetruppe des Klubs integrieren zu können, verschickt der Manager sie in andere Mannschaften.

In der zweiten Liga in Dessau etwa hat er vier Spieler, in Melsungen fünf, und beim Regionalligisten Fermersleben „is' allet, wat da is', von mir“. Zu 80 Prozent üben die Talente weiter im Stammverein und nur zu einem Fünftel mit den wochenendlichen Mitspielern. „Ihr kriegt die kostenlos, ich zahl' ihnen weiter ihr Gehalt“, sagt Hildebrandt den Klubs und fordert im Gegenzug, „daß die in jedem Spiel mindestens 30 Minuten lang zum Einsatz kommen“.

„Auf Dauer“, schlußfolgert Hildebrandt, „ist für uns außer dem Erfolg wichtig, daß die Jungen bei uns eingebaut werden.“ Für die vorübergehende Sieggarantie zieht er sich aber bereitwillig auf die fertigen Stars zurück. Und die kommen bereitwillig nach Magdeburg, Baustellen hin oder her. Für die Franzosen, sagt Vermittler Gütschow, seien die Angebote aus der Bundesliga nicht in einem derart üppigen Ausmaß gekommen. „Und der Atavin kommt aus Sibirien“, resümiert Gütschow, „dem ist es sowieso egal.“