piwik no script img

In die Fortschrittsfalle getappt

■ Kaum ist das Digital Audio Broadcasting (DAB) technisch ausgereift, ist es schon wieder veraltet

Es hat schon etwas Tragisches, wenn ein renommierter Rundfunkingenieur verzweifelt versucht, sein Lebenswerk ins Ziel zu retten, obwohl offensichtlich wird, daß das Rennen nicht mehr zu gewinnen ist. Doch das will Frank Müller-Römer, ehemals Technischer Direktor des Bayerischen Rundfunks, nicht wahrhaben. War er doch sogar auf europäischer Ebene daran beteiligt, daß das digitale Radiosystem DAB (Digital Audio Broadcasting) bis zur Einsatzreife entwickelt wurde. Auf der diesjährigen Funkausstellung soll die Markteinführung der ersten im freien Handel verkäuflichen Empfangsgeräte stattfinden – zu spät, wie es scheint.

Zwar ist es unzweifelhaft ein großer technologischer Erfolg, der da seit 1980 von den Forschungslabors der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der europäischen Geräteindustrie erzielt worden ist: Ein digitales Radiosystem der Zukunft sollte nicht nur besseren Klang in die Wohnstuben bringen, auch die Frequenzbänder des Hörfunks sollten wesentlich besser ausgenutzt werden und somit mehr Platz für noch mehr Radioprogramme bieten. Darüber hinaus spart die digitale Ausstrahlung von Radiosignalen den Sendern erhebliche Kosten durch stark reduzierten Energieeinsatz an den Sendemasten.

Doch nach 17 Jahren ist das DAB nun in die Fortschrittsfalle getappt: DVB, das europäische digitale Fernsehsystem, kann nämlich alles mindestens genausogut. Dem DVB-Übertragungssystem ist es egal, ob es Video-, Daten- oder Audiosignale überträgt: Es sind und bleiben Datenpakete, die erst im Endgerät wieder auseinandergepflückt werden. Mehr noch: Auf einem DVB-Kanal, der nicht ganz ausgenutzt ist, kann der Rundfunkveranstalter per Huckepack zusätzliche Dienste einfach mitausstrahlen. Kein Problem also, für den WDR beispielsweise, auf einem Kanal das ARD-Gemeinschaftsprogramm, sein Drittes Programm, alle fünf Hörfunkwellen und möglicherweise auch noch Verkehrsmeldungen und Internet-Seiten auszustrahlen. Auch das einzige Plus von DAB, die terrestrische Ausstrahlung, scheint dahin. Lange Zeit schien in Deutschland wegen der föderalen Struktur und vor allem wegen der sehr guten Kabelinfrastruktur die Ausstrahlung von terrestrischem DVB wenig Erfolg zu versprechen. Doch jetzt wurden eigens zwei militärisch genutzte Kanäle für erste Tests freigeräumt.

Doch selbst wenn DAB nun zur Funkausstellung '97 in den Markt eingeführt wird, rechnet Frank Müller-Römer mit einem Durchbruch des Systems nicht vor dem Jahre 2005. Erst dann sei zu erwarten, daß genügend Empfänger verkauft worden sind. Langfristig soll DAB dann die herkömmliche analoge UKW-Ausstrahlung ablösen. Diese Prognosen stammen allerdings noch aus einer Zeit, als die Konkurrenz von DVB noch nicht so absehbar war. Und diese Konkurrenz wird so bedrohlich für den Vorsitzenden der Lobby-Organisation „Deutsche DAB-Plattform“, daß er nun verzweifelt nach neuen Argumenten sucht. So propagiert er seit einiger Zeit das DAB-Verfahren als eine erfolgversprechende technische Variante, um Videobilder digital über terrestrische Sendernetze zu übertragen.

Bei den Vertretern der DVB- Fraktion – darunter zahlreiche Technische Direktoren der ARD- Anstalten – stoßen Müller-Römers Ideen eher auf Befremden. Sie halten die Videoqualität der DAB- Übertragung ohnehin für unbefriedigend. Für Müller-Römer Grund genug, nachzulegen. In einem 21seitigen Papier voller technischer Formeln liefert er neue Sachargumente: Nur die DAB- Übertragung sei in der Lage, auch bei Geschwindigkeiten bis zu 250 km/h eine „voll zufriedenstellende Darstellung von Bewegtbildern für kleinere und mittlere Bildschirmgrößen (zum Beispiel PKW)“ zu ermöglichen. Außerdem sieht Müller-Römer den Vorteil, daß die Frequenzbereiche hierfür schon international koordiniert sind, während sich terrestrisches DVB noch im Testlauf befindet.

Kurzerhand erklärt er eine schnellstmögliche Frequenzvergabe für DAB-Video noch zur „Schlüsselfrage“ für die Durchsetzung digitaler Multimedia-Dienste: „Frequenzpolitik ist Wirtschaftspolitik“, heißt es im Resümee des Papiers.

Also Staatskanzleien hergehört: Videofrequenzen für DAB sichern Arbeitsplätze im Sportwagenbau. Jürgen Bischoff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen