■ Frühjahrsgutachten stellt Bonn schlechtes Zeugnis aus
: Die Regierung ist an der Krise schuld

Die beständigen Schuldzuweisungen, mit denen die Regierung vom eigenen wirtschaftspolitischen Versagen ablenken will, werden in dem gestern vorgestellten Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute geradezu der Lächerlichkeit preisgegeben. Nicht die anspruchsvollen Arbeitnehmer machen mit überzogenen Lohnforderungen und allzu kurzen Arbeitszeiten dem Standort Deutschland den Garaus. Nein, gerade Gewerkschaften haben den Wirtschaftsforschern zufolge zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsposition Deutschlands beigetragen: Die Lohnstückkosten sinken in Westdeutschland, während sie in den anderen europäischen Ländern und den USA steigen.

Schuld an der lahmenden Konjunktur und der weiter um sich greifenden Arbeitslosigkeit ist schlicht und einfach die Regierung selbst. Daran läßt der Bericht wenig Zweifel. Denn daß in einer Situation, in der Sparen für Maastricht die einzige Leitlinie der Regierungspolitik zu sein scheint, der Staat die Nachfrage aktiv beleben könnte, ist sowieso ausgeschlossen. Damit nicht genug. Die Regierung tut zudem offenbar ihr Möglichstes, einen Aufschwung zu verhindern. Selbst die Wirtschaftsforschungsinstitute warnen Finanzminister Theo Waigel ausdrücklich davor, die Konjunktur durch übertriebene Sparmaßnahmen weiter zu belasten, bloß um keinen Deut von seiner strengen Interpretation der Maastricht-Kriterien für die Aufnahme in die Europäische Währungsunion abweichen zu müssen.

Unternehmer und Verbraucher werden zusätzlich darüber im unklaren gelassen, wie und ob überhaupt der Einstieg in die Europäische Währungsunion geschafft wird. Sie haben darüber hinaus auch keine Ahnung, was mit der verschleppten Steuerreform auf sie zukommen wird. Vielleicht wird die Sozialhilfe zusammengestrichen, vielleicht steigen die Mineralölsteuern, vielleicht werden die Renten bald besteuert, vielleicht werden Investitionen künftig steuerlich benachteiligt. Oder auch bevorteilt. Wie immer – wer warten kann, wartet ab, ob Konsument oder Investor. Und die Arbeitslosen warten vergeblich auf neue Jobs.

Von dieser Regierung erwartet man ja nicht mehr viel. Aber daß sie wenigstens einmal Klarheit darüber herstellt, welche Maßnahmen sie nun plant, um Einnahmen und Ausgaben in den Griff zu bekommen – ist denn selbst das zuviel verlangt? Nicola Liebert