"Mit den Grünen ist das nicht zu machen"

■ Jürgen Trittin, Sprecher des Bundesvorstands von Bündnis 90/Die Grünen, über den sich anbahnenden Atomkonsens zwischen SPD und Bundesregierung sowie über die drohenden Folgen für das rot-grüne Verh

taz: Bei den Atommüllgesprächen zwischen SPD und Bundesregierung ist eine Einigung in Sicht. Bereiten Gerhard Schröder und Franz Müntefering damit den großen Krach zwischen SPD und Grünen vor?

Jürgen Trittin: Ich kann hier nur auf Basis der schriftlichen Verhandlungsgrundlage sprechen, die in der letzten Atomkraftrunde von Bundesregierung und SPD auf dem Tisch lag. Diese sieht vor, daß eine Vereinbarung durch sämtliche Ministerpräsidenten abgesegnet werden soll. So etwas wird eine sehr scharfe Auseinandersetzung zwischen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD provozieren. Damit würde die SPD verlangen, daß rot- grüne Landesregierungen eine Bestandsgarantie für die bestehenden Atomanlagen abgeben. Erhebliche Verwerfungen innerhalb der rot-grünen Landesregierungen wären vorprogrammiert.

Die Grünen in Nordrhein- Westfalen wollen bei einem Atomkonsens zwischen SPD und Bundesregierung alle vier rot-grünen Koalitionen in den Ländern beendet sehen.

So hat es der Landesparteitag in Nordrhein-Westfalen beschlossen. Der Bundesvorstand der Grünen hat es anders, ich finde, klüger formuliert. Wir können es uns weiterhin nicht vorstellen, daß etwa Ministerpräsident Johannes Rau einer Erweiterung des Zwischenlagers Ahaus die Zustimmung erteilt. Er würde sich damit über seine eigene Koalitionsvereinbarung hinwegsetzen. Wir können uns auch nicht vorstellen, daß Ministerpräsident Reinhard Höppner für Sachsen-Anhalt sich mit einem Weiterbetrieb des Endlagers Morsleben über das Jahr 2000 hinaus einverstanden erklärt. Herr Höppner hat übrigens erst kürzlich eine Verlängerung des bis zum Jahr 2000 befristeten Betriebs scharf zurückgewiesen.

Was Sie sich nicht vorstellen können, rückt näher. Die Bonner Atomrunde will für ein Verhandlungsergebnis den Segen der Ministerpräsidenten, weil die schon im Jahre 1979 das alte Entsorgungskonzept verabschiedet haben. In der Ministerpräsidentenkonferenz gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Für ein neues Entsorgungskonzept müßten alle, auch die rot-grün getragenen Ministerpräsidenten, eine Atommüllvereinbarung mittragen.

Ich kann die SPD nur davor warnen, ihre Ministerpräsidenten auf eine Zustimmung zu vergattern. Das Versprechen etwa auf eine Änderung des Atomgesetzes, das diese auf einer Ministerpräsidentenkonferenz abgeben würden, könnten sie bei den Beratungen des Bundesrats über eine Atomgesetznovelle nicht einhalten. Rot-grüne Landesregierungen werden der von SPD und Bundesregierung geplanten Atomgesetznovelle nicht zustimmen. Die Bonner Atommüllrunde will Endlagerbau und -betrieb privatisieren und eine Enteignungsklausel in das Atomgesetz einführen, mit der die Eigentumsrechte des Grafen Bernstorff am Gorlebener Salzstock ausgehebelt werden sollen.

Entscheidend für die Grünen ist demnach nur das unterm Strich folgenlose Abstimmungsverhalten der vier rot-grünen Landesregierungen im Bundesrat. Dürfen die rot-grün getragenen Ministerpräsidenten ein neues Entsorgungskonzept ruhig mitbeschließen?

Nein. Auch vor Ministerpräsidentenkonferenzen pflegen Landeskabinette vorher das Votum des jeweiligen Regierungschefs festzulegen. Wie rot-grüne Kabinette sich dann konkret entscheiden, ist natürlich allein ihre Sache. Doch die Grünen lehnen den Weiterbetrieb von Atomanlagen ab, wollen möglichst zeitig aus dieser Energie aussteigen. Und dies wird sich auch im konkreten Handeln der Grünen-Vertreter in den Landesregierungen niederschlagen.

Sie wollen also einen Krach zwischen SPD und Grünen vermeiden?

Es wird eine sehr scharfe politische Debatte geben. Die Grünen werden den zwischen SPD und Bundesregierung ausgehandelten Atommüllkurs in keiner Weise mittragen.

Gerhard Schröder, der für die SPD den Atomkonsens verhandelt, macht ohnehin Front gegen die Grünen. Er erklärt Ökologie und Ökonomie für bereits versöhnt und will von einem rot-grünen Reformprojekt nichts wissen.

Der niedersächsische Ministerpräsident muß sich überlegen, welche Perspektiven ein sozialdemokratischer Kanzlerkandidat haben soll: die Perspektive Kanzlerschaft oder nur die Perspektive Vize unter einem Bundeskanzler Wolfgang Schäuble. Für die Kanzlerschaft braucht die SPD einen Partner für eine Mehrheit jenseits von Union und FPD. Da gibt es nur einen Partner, und der ist ohne eine ökologische Erneuerung, ohne eine tatsächliche Energiewende, nicht zu haben. Interview: Jürgen Voges