Das zweite magische Mal

■ Tanzende Puppen und sterbende Fetische der Avantgarde auf dem Zweiten Hamburger Tanzfilmfestival im Alabama

Das kleine Glück kann manchmal eine praktische Angelegenheit sein und läßt sich obendrein noch zu Voluminöserem aufblasen. Und der Einsamer der neben seiner Fickpuppe aufwacht, genießt das ungebremst. Liebevoll streichelt er seiner stillen Freundin das Kunsthaar aus der Stirn, lächelt sie verzückt an und schleudert sie so leidenschaftlich hin und her, bis die Begehrte nicht nur zerknautscht, sondern regelrecht verdutzt aussieht und niemand mehr mit Bestimmtheit sagen kann, daß sie nur ein Haufen Kunststoff ist und nicht doch eine Seele hat.

Doch in Enter Achilles, der zusammen mit Un deux, trois – triste das 2. Hamburger Tanzfilmfestival heute um 20 Uhr im Alabama eröffnet, gibt es kein solitäres Glück, das nicht durch Gruppenkraftmeierei verbeult würde. Und so keilen sich nebenan in der Kneipe viele junge Burschen rund um einen Billardtisch. Erotisch, brachial, und irgendwann wird der Prinz der Männergemeinschaft als Superman einfach seinen Mantel lüften und sich unerreichbar machen. Die Gladiatoren beginnen ihre Fetische zu zerstechen. Auch ein Fußball muß sterben und die prallen Tage der Aufblasbaren sind ebenfalls gezählt.

Der schwule Reigen des DV8 Physical Theatre unter der Choreographie von Lloyd Newson kreiselt bald immer wuchtiger, bis Berühren, Küssen und Schlagen dasselbe sind. Wem Enter Achilles' schwüle Ästhetik, die ganze angeregte, wieder abgeklemmte oder vertanzte Geilheit manchmal zuviel ist, kann sich im Anschluß auf Dance for the Camera freuen, eine von der BBC produzierte Serie von 5-minütigen Tanzclips, die vom Klassischen Ballett bis zum avantgardistischen Experiment reicht.

Außerdem läuft Strange Fish, (25. 4., 22.15 Uhr), ebenfalls ein Newson-Epos über Sex und Gewalt, das nach den Gelenkstellen zwischen Konzeptkunst, Tanz, Text und Musik fahndet. Der Spiegel im Tanz bebildert in Arbeiten von John Neumeier, Susanne Linke und Rui Horta das Vexierspiel zwischen funktionierendem Ballettkörper und inszenierter Selbstreflexion (26.4, 22.15 Uhr). Besonderes Augenmerk verdienen auch die Filme des Theaterregisseurs Robert Wilson (27.4., 18 Uhr), in denen der Zeremonienmeister des illuminierten Bühnenbildes mit dem Film nur die Gerätschaft seines Gewerbes wechselt, um sich dort als Magier zu erproben. big

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