■ Fossilienforschung rund um den Schürmann-Bau: Stockträger Lambsdorff
Die Bonn-Aufkleber mit dem Kußmund als „o“ hätte ich gerne erfunden. Alles ist so aufregend und demokratiedurchsetzt in Bonn. Straßenbahn fahren zum Beispiel ist wie Nachrichten hören: Dauernd sagt die freundliche Ansagerin „Innenministerium“ oder auch „Außenministerium“, je nachdem. Natürlich ist Bonn keine richtige Stadt. Deshalb wird einem Bonn auch überall erklärt; die Stadtplaner müssen damals davon ausgegangen sein, daß es hier niemals Einheimische geben würde.
Dafür ist alles voll mit Studenten. In einer von schnatternden Exemplaren dieser Brut von heute und Last von morgen beherrschten Trinkstätte namens „Namenlos“ fand ich ein Autogramm von Otto Graf Lambsdorff. Wohliger Demokratieschauder durchfuhr mich. Geschichte wird gemacht, Autogramme werden unterschrieben, und da drüben ist Helmut Kohls Strickjacke ausgestellt. Warum gibt es überhaupt Otto-Graf- Lambsdorff-Autogramme? Verhält sich nicht eigentlich schon die Länge seines Namens heuer diametral zu seiner Bedeutung? Eine Frage, die für mich aufzuwerfen natürlich relativ heikel ist.
Trotzdem: Zwar weiß ich sehr wohl, daß Politikerautogramme nicht direkt mit Popmaßstäben zu messen sind, da sie eine andere Funktion erfüllen als eine Karte beispielsweise von Mel B. von den Spice Girls. Aber warum sieht die Autogrammkarte von Otto Graf Lambsdorff so Scheiße aus? Zum einen natürlich, weil Otto Graf Lambsdorff nicht gut aussieht. Doch sieht auch Uwe Reinders (früher mal Werder Bremen) nicht gut aus, seine Autogrammkarte aber super. Sexy, poppig und begehrt macht ein Autogramm vor allem seine Unlesbarkeit. Verwischt und abstrakt muß der Schriftzug Rückschlüsse auf Hektik und große Nachfrage beim Unterzeichner zulassen; ist dagegen der Name ausgeschrieben, so ist dies ein sicheres Merkmal für die Karrieretalsohle, die der Signierende soeben durchwandert. Nun hat ein „Ehrenvorsitzender“, der und dessen Partei auch schon besserer Tage Zeugen wurden, sicherlich weniger zu tun als eine Sängerin der Spice Girls oder ein erfolgreicher Fußballspieler. Deshalb ist die Unterschrift vom Grafen auch sehr lang.
Wer das famose Buch „Meine Schwester Klara und ich“ kennt, wird sich sicherlich an Klaras pädagogisch unanfechtbare Schreiblernphase erinnern: „Ein m besteht aus 3, ein n aus 2 Spazierstöcken.“ Stockträger Lambsdorff dürfte hier Inspiration für seine energisch wirkende Dolomitenskyline gesammelt haben – viele Spazierstöcke sind da aufgereiht. Was gegen Graf Lambsdorff, nicht aber gegen Bonn spricht. Blaukraut bleibt Brautkleid und Umzug bleibt Unfug, so schön ist's hier. Demokratie zum Anfassen ist toll, deshalb gibt es wohl auch das Haus der Geschichte samt Topexponat Strickjacke – Geschichte zum Anziehen.
Greif- und sichtbare Demokratie hat die Menschen seit jeher fasziniert: In Hamburg hat Ole von Beust neulich Graffiti von einer Brücke abgeschrubbt, Guido Westerwelle fiel zum erstenmal angenehm auf, als er keck mit Pinsel und Plakatklebe-Kleister posierte, und so mancher wird sich, in Lenor-Demokratie-Wohlfühl-Sweatshirts gewandet, daran erinnern, wie H. Schmidt einst mit blauer Kappe und Sandsäcken die Elbe, wenn nicht gar die Elemente besiegte. Politik zum Anfassen, zum An-den-Kopf-Fassen.
Wer zweifelt an der Demokratie hierzulande und am zielgerichteten Fluß der Steuergelder, der mache sich auf nach Bonn: Wohin das Auge reicht, gibt es Ministerien, Häuser der Geschichte usw., durchweg sinnvoll angelegte Steuergelder wiederum zum Anfassen. Sogar die diese Regel bestätigenden Ausnahmen, den Schürmann- Bau zum Beispiel, kann man anfassen.
Bonn muß zwar nicht (weil: geht ja nicht) Hauptstadt bleiben, sehr wohl aber muß Lambsdorff in Bonn bleiben. Meinetwegen auch als Ehrenbonner. Benjamin v. Stuckrad-Barre
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