Internet für Juristen

■ Die Bundesanwaltschaft setzt das Deutsche Forschungsnetz unter Druck, der Bundestag berät über das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz

Klaus Eckart Mass, Geschäftsführer des Vereins Deutsches Forschungsnetz (DFN), übt sich in vorausschauender Rechtspflege. Er findet seit Montag abend, es sei „unzumutbar“, den niederländischen Server „xs4all“ für die Mitglieder seines öffentlich finanzierten Computernetzes zu sperren. Genau das hatte Mass Anfang des Monats aber selbst angeordnet, nachdem ihn die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe darauf hingewiesen hatte, daß unter dieser Adresse immer noch die verbotene Ausgabe Nummer 154 der Zeitschrift radikal verfügbar sei.

Deutscher war das Internet nie. Staatsanwaltschaften zitieren Strafrechtsparagraphen, Mass beruft sich auf das Informationsund Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG), das letzten Freitag in erster Lesung in den Bundestag eingebracht worden ist. Der einschlägige Passus steht in Artikel 1, Paragraph 5, Abschnitt 4 und lautet: „Verpflichtungen zur Sperrung der Nutzung rechtswidriger Inhalte nach den allgemeinen Gesetzen bleiben unberührt, wenn der Diensteanbieter [...] von diesen Inhalten Kenntnis erlangt und eine Sperrung technisch möglich und zumutbar ist.“

Begriffe, die sich Juristen auf der Zunge zergehen lassen. Amerikanische Gäste, stets gern zu deutschen Podiumsdiskussionen über die Zukunft der Informationsgesellschaft eingeladen, nehmen mit amüsierter Verständnislosigkeit zur Kenntnis, mit welcher Gründlichkeit hierzulande Fragen diskutiert werden, deren praktische Bedeutung kaum nachweisbar ist. Der Harvard-Ökonom Eli Noam etwa definiert den Unterschied so: „Die Deutschen wollen im Internet Sicherheit haben, wir wollen Gewinn machen.“

Die Zeitschrift radikal, für die sich außer der Bundesanwaltschaft kaum jemand interessiert, ist auf Dutzenden von Rechnern abrufbar, der Inhalt der inkriminierten Artikel ist vergangenen Herbst in jeder Lokalzeitung referiert worden. Selbst in der nicht gerade maulfaulen Newsgroup „de.soc .zensur“ löste die DFN-Sperre nur noch eine mäßig erregte Diskussion aus. Die Argumente sind längst ausgetauscht und wurden erneut bestätigt: Unter anderem diente xs4all auch als Stützpunkt für den serbischen Oppositionssender „B92“ – eine peinliche Zensur demokratischer Reformer durch deutsche Behörden.

DFN-Teilnehmer beschwerten sich außerdem darüber, daß ihnen archäologische, pädagogische und mathematische Arbeiten nicht mehr zugänglich waren, die sie bisher unter der niederländischen Webadresse gefunden hatten. Der DFN-Geschäftsführer war die Klagen leid. Das Gesetz, auf das er sich beruft, ist freilich noch keineswegs verabschiedet. Es schmort in den Ausschüssen des Bundestages, die zur Zeit Kampfabstimmungen über die Frage durchführen, ob eine Expertenanhörung Mitte Mai oder Anfang Juni stattfinden soll. Welche Fassung schließlich beschlossen wird, mag auch Jörg Tauss, Sprecher der SPD in dieser Frage, nicht voraussagen.

So lange will Klaus Eckart Mass nun doch nicht warten. Er hat xs4all wieder zugeschaltet und setzt darauf, daß die Bundesanwaltschaft in jedem Fall davor zurückschreckt, Universitätsrechner, die mit Hochleistungskabeln verbunden sind, zu beschlagnahmen.

Er kann sich so etwas einfach „nicht vorstellen“ und darf mit Rückendeckung aus Bonn rechnen. Forschungsminister Jürgen Rüttgers drängt zur Eile. Wenigstens im Internet will er die Nase vorn haben. Im Kabinett Kohl hat er nicht viel zu sagen, deshalb sagt er das wenige, das er sagen darf, auf der Homepage seines Ministeriums (www.bundesregierung.de/ inland/ministerien/bmbf_rahmen .html). Sie ist ein multimediales Großereignis, verglichen mit den Webseiten der Kollegen. Dort reicht die Phantasie selten über eine Darstellung des Geschäftsverteilungsplans hinaus.

Das Bundesministerium für Bildung, Forschung und Wissenschaft jedoch kennt inhaltliche Schwerpunktthemen, allen voran das eigene „Informations- und Kommunikationsdienstegesetz“, aus dem eigenen Haus. Zum erstenmal immerhin ist damit das Internet Gegenstand parlamentarischer Debatten in Deutschland geworden, und Jürgen Rüttgers könnte sich freuen über diesen bislang sichtbarsten Erfolg seines Wirkens.

Aber er freut sich nicht. Nicht wirklich, denn unterderhand ist ihm das Gesetz mißraten. Er weiß es wohl und hat sich vor dem Parlament nur mühsam in die Pflicht genommen: „Ich weiß auch, daß die eine oder andere Stelle anders hätte gemacht werden können. Ich kenne nämlich meine eigenen Texte, mit denen ich in die Verhandlungen hineingegangen bin. Nur, am Schluß galt es, eine Abwägung zu treffen zwischen jahrelangen Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern bis hin zum Bundesverfassungsgericht und einem Kompromiß.“

Das ist milde ausgedrückt. Das Gesetz soll nach dem übereinstimmenden Wunsch aller Fraktionen des Deutschen Bundestages die Entwicklung der Kommunikationstechniken fördern und Rechtssicherheit für alle daran Beteiligten schaffen. Doch sein Wortlaut enthält an beinahe jeder Stelle Stolperdrähte, in denen sich ganz unterschiedliche Interessengruppen verfangen. Der Abgeordnete Tauss hofft deshalb auf eine „einmalige Koalition“ gegen das Gesetz, die vom Chaos Computer Club über Bertelsmann und Microsoft bis zur Deutschen Bank reichen könnte.

Davon ist in der Öffentlichkeit bisher kaum etwas zu sehen. Anlaß für lautstarken Protest gäbe es jedoch tatsächlich ebenso für Netzanarchisten wie für Großbanker. Die einen brauchen klare Regelungen für die verschlüsselte Geldüberweisung, die andern Schutz vor dem Großen Lauschangriff auf den Briefkasten. Das Gesetz läßt bisher beide im Stich. Wer das Internet in Zukunft ohne Bonner Schirmherrschaft nutzen will, sollte sich deshalb in jedem Fall einen guten Anwalt besorgen. Denn tückisch ist nicht nur der Paragraph, auf den sich Mass beruft. Er versucht lediglich, die Rechte der Provider zu regeln, und stellt zunächst salomonisch fest, sie seien nur für die Inhalte verantwortlich, die tatsächlich auf ihren eigenen Rechnern gespeichert sind.

Im Fall von radikal trifft das nicht zu, Polizei und Staatsanwaltschaften wären darauf verwiesen, Straftaten bei Konsumenten und Produzenten, nicht beim Postboten zu ermitteln. Nur folgt danach eben jener Absatz vier, der Provider grundsätzlich doch wieder dazu verpflichtet, jeden Zugang zu strafbaren Inhalten zu sperren, wenn auch mit der Einschränkung der Zumutbarkeit, die der DFN- Verein nun für sich in Anspruch nimmt.

Schon vor diesem Freibrief für beliebige Ermittlungen der Polizei werden die privaten Kunden der Provider jedoch womöglich über Paragraph2 von Artikel1 gestolpert sein. Er legt fest, daß es ihnen zwar erlaubt sei, alles mögliche über das Netz zu verkaufen und beispielsweise auch Wetter- oder Verkehrsnachrichten zu verbreiten – jedoch nur, solange dabei keine „redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund“ steht.

Die nämlich unterliegt der Rundfunkgesetzgebung der Länder. Ein entsprechender Staatsvertrag liegt beschlußreif vor. Falls er in Kraft tritt, werden Richter auf Jahre hinaus mit der Klärung des Unterschieds zwischen einer „Individualkommunikation“, wie es im Gesetz heißt, und redaktioneller Information beschäftigt sein.

Echte Arbeitsplatze, wie Rüttgers sie verspricht, werde ein solches Gesetz wohl kaum schaffen, höhnte der grüne Abgeordnete Manuel Kieper im Bundestag. Es handle sich jedoch um „eine erstklassige AB-Maßnahme für Juristen“. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de