Parteienhader statt „nationaler Versöhnung“

■ In Albanien torpediert der Machtkampf zwischen Präsident Sali Berisha und der Regierung unter dem Sozialisten Bashkim Fino den Wiederaufbau des Landes

Wien (taz) – Einen Monat nach Bildung einer Allparteienregierung ist von einer „nationalen Versöhnung“ in Albanien nichts zu sehen. Feindlich stehen sich die beiden großen politischen Lager gegenüber: Auf der einen Seite Staatspräsident Sali Berisha und dessen Demokratische Partei, auf der anderen Seite Regierungschef Bashkim Fino von den Sozialisten und die Rebellenkomitees aus dem Süden des Landes.

Anstatt den Wiederaufbau staatlicher Strukturen zu forcieren und ein Notprogramm für die bankrotte Wirtschaft auszuarbeiten, blockieren die beiden Fraktionen jede Parlamentsarbeit. Und als wäre noch nicht genug Blut geflossen, hetzen Scharfmacher die Bevölkerung noch immer gegen vermeintliche „innere Feinde“ auf. Jüngstes Beispiel unter vielen: der Streit um die Absetzung des berüchtigten Polizeichefs und Vize- Innenministers Agim Shehu. Dieser enge Vertraute Berishas wird für die Planung eines Attentatsversuchs auf Fino Ende März verantwortlich gemacht, als sich dieser in der nordalbanische Stadt Shkoder ein Bild von der chaotischen Lage vor Ort verschaffen wollte. In den Augen der Sozialisten und Rebellen ist Shehu außerdem verantwortlich für Anschläge auf regimekritische Verlagshäuser, für die Bespitzelung und Einschüchterung von unliebsamen Intellektuellen und ehemaligen Oppositionspolitikern.

Obwohl die Allparteienregierung in der vergangenen Woche mit der erforderlichen einfachen Mehrheit die Absetzung des Polizeichefs und Vize-Innenminister beschloß, läßt Staatspräsident Berisha jetzt der verdutzten Öffentlichkeit ausrichten, ihm allein unterliege als Oberbefehlshaber der Streitkräfte das Recht, „hochrangige Offiziere der Sicherheitskräfte zu entlassen“. Plötzlich erfährt die Öffentlichkeit, daß Shehu im vergangenen Jahr von Berisha heimlich zum General befördert wurde und im militärischen Abschirmdienst Albaniens ebenfalls eine Rolle spielt. Doch wer dieser Shehu wirklich ist, erfahren die Albaner nur in jenen Städten, in denen seit kurzem wieder unabhängige Zeitungen erscheinen. Das staatliche Fernsehen, der Rundfunk und die Nachrichtenagentur ATA sind fest unter Berishas Kontrolle, er persönlich soll sich um die Programmgestaltung kümmern, sagen Regimekritiker. Wen wundert es, daß in den Hauptnachrichtensendungen fast nur die Aktivitäten des Präsidenten herausgestellt werden, Berichte zur wirtschaftlichen Lage im rebellischen Süden fehlen und Ministerpräsident Fino hin und wieder als dubiose Gestalt verunglimpft wird, dem dann „Verstrickung in mafiose Zirkel“ vorgeworfen wird.

Die unabhängigen Tageszeitungen kontern: Da enthüllt etwa das einst regimekritischste Blatt Koha Jonä angebliche Einsatzpläne des formell aufgelösten Staatssicherheitsdienstes Shik zur militärischen Niederschlagung der Rebellion in den südalbanischen Städten Vlora, Gjirokastär und Sarande und suggeriert dem Leser, Berisha sei notfalls noch immer entschlossen, im Süden ein Blutbad anzurichten. Dafür stehe eine Garde von 25.000 Mann im Norden Albaniens in Alarmbereitschaft.

Aufgeschreckt von solchen Gerüchten weigern sich die Rebellenkomitees bisher, ihre gehorteten Waffen an die internationalen Schutztruppen auszuhändigen. Einer ihrer Führer in Vlora, Lefter Zani, erklärt, er wolle notfalls zur Sabotage greifen, sollten die Truppen dazu beitragen, „die Herrschaft Berishas zu verlängern“. Der Diktator müsse gestürzt werden, auf welche Weise auch immer. Keinen Hehl machen die Rebellen aus ihrer Absicht, in die Hauptstadt zu marschieren, sollte sich Berisha entgegen allen Umfragen bei den vorgezogenen Wahlen im Juni erneut als Sieger erweisen. Berisha nimmt dieses Bekenntnis zur Gewalt seinerseits zum Anlaß, die Europäer vor einer „Machtergreifung durch Linksextremisten und Mafia-Leute“ zu warnen. Er werde vor solchen „Elementen“ nicht zurückweichen, mit den Rebellen sei ein Verhandeln nicht möglich.

Wie verfahren die Situation weiterhin ist, erfuhr OSZE-Sondervermittler Franz Vranitzky bei seinem jüngsten Albanienbesuch. Als der österreichische Exkanzler ins Rebellengebiet aufbrechen wollte, ließ Berisha den Europa- Emissär wissen, polizeilichen Begleitschutz könne er dem Gast bei seiner Reise nach Vlora nicht gewähren – Vranitzky verzichtete auf eine Stippvisite. Karl Gersuny